Effizienzwährung und Vertrauenswährung
Der belgische Ökonom Bernard Lietaer, einer der Vordenker der europäischen Währungsunion, wurde auch für seine Gedanken zu Regional- und Alternativwährungen bekannt. Bernard Lietaer ist vor einem Jahr verstorben. Dieses Interview, eines seiner letzten, stammt aus einem Gespräch mit Thomas Steininger in Radio evolve.
evolve: Sie setzen sich seit Jahren für eine Reform unseres Geldsystems ein. Ich möchte mit zwei grundlegenden Fragen beginnen: Was ist Geld? Und wie sollte sich unser heutiges Währungssystem verändern?
Bernard Lietaer: Geld ist die Vereinbarung in einer Gemeinschaft. Man einigt sich, etwas standardisiert als Tauschmittel zu benutzen. Es existiert im Geist, nicht in der materiellen Welt. Und seit 350 Jahren beruht es auf einer Vereinbarung zwischen dem Staat und dem Bankwesen. Das Problem ist, es ist ein Monopol. Natürliche Ökosysteme wie der Wald sind immer komplexe Fließnetzwerke. Es gibt dort eine große Vielfalt. Das ist weniger effizient als eine Monokultur, hat aber eine viel höhere Resilienz.
Im Mittelalter vom Jahr 1000 bis ungefähr 1300 gab es in Europa zum Beispiel Perioden, wo verschiedene Währungen parallel liefen. Es gab also ein Ökosystem von Währungen. Dies waren Perioden des Wachstums mit einem hohen Wohlstandsniveau. Es war die Zeit, als die großen Kathedralen gebaut wurden. Städte oder Bistümer hatten eigene Währungen. Oft war es ein doppeltes System mit einer Währung für den Handel im größeren räumlichen Abstand und einer zweiten Währung, die lokal verwendet wurde. Dieses doppelte Geldsystem war sicher chaotischer als ein Monopol, aber es waren gute Zeitperioden für ärmere Leute. Die Menschen in den unteren sozialen Schichten lebten ein besseres Leben als später, speziell im 14./15. Jahrhundert, als man das System in ein Monopol verwandelte.
e: Sie haben in Belgien einige Initiativen gegründet, zum Beispiel in Gent, wo Sie mit Unterstützung der Genter Lokalregierung solche Komplementärwährungen eingeführt haben. Wie haben sich diese Währungen ausgewirkt?
BL: Dieses Projekt in Gent habe ich in der ärmsten Nachbarschaft von ganz Belgien umgesetzt. Dort gibt es 7000 Familien mit 25 Sprachen. Die wichtigste Sprache ist türkisch. Es gab 50 % Arbeitslosigkeit und 20 % der Bewohner waren illegale Zuwanderer, also ein typischer »Problembezirk«. Zu Beginn des Projekts fragten wir die Bewohner: Was ist Ihr Traum? Was wünschen Sie sich, was es heute noch nicht gibt? Die Antwort vieler Menschen war: einen kleinen Garten. Es gab zum Beispiel einen Mann aus Anatolien, der von seinem Großvater Landbau gelernt hatte und mit seinen Kindern im 13. Stock eines Apartmentbaus wohnte. In der Nähe gab es eine Fabrik, die Pleite gegangen war, wir nutzten dieses Grundstück, um Land für Gärten zur Verfügung zu stellen. Die Menschen hatten die Möglichkeit, für 150 Torekes pro Jahr – das ist der Name der Komplementärwährung – einen Garten zu mieten. Diese Torekes konnten sich die Bürger damit verdienen, dass sie etwas für die Nachbarschaft tun, z.B. die Straße säubern oder Blumentöpfe aufstellen und pflegen. Die Stadt hatte schon lange versucht, die Menschen zu solchen Tätigkeiten zu motivieren. Durch diese Mitarbeit entstand eine ganz neue Atmosphäre in der Nachbarschaft, eine neue Qualität von Verbundenheit zwischen den Menschen.
e: Wenn Sie von dieser Währungsvielfalt und den Komplementärwährungen sprechen, nehmen Sie auch Bezug auf taoistisches Denken und sprechen von Ying-Währung und Yang-Währung. Was sind Ying-Währungen? Was sind Yang-Währungen?
BL: Das offizielle Geld wie der Euro ist eine typische Yang-Währung. Yang steht im chinesischen Denken für aktiv, dynamisch, männlich, kontrollierend. Ying ist der Gegenpol dazu. Es ist passiv, kalt, ruhend, weiblich, offen. Eine Metapher dafür ist ein Berg mit einer Sonnenseite. Das ist Yang, und die Schattenseite steht für Ying. Eine Yang-Währung kennzeichnet sich durch Wettbewerb, sie ist Top-Down von oben nach unten organisiert, wird durch Zinsen kontrolliert. Diese Währung kann sich auf einige Menschen konzentrieren, diejenigen, die mehr Geld haben, bekommen noch mehr, diejenigen mit weniger Geld verlieren es. Bei der Ying-Währung, wie dem Torekes in Gent, gibt es keinen Wettbewerb zwischen den Menschen, es gibt keine Zinsen. Diese Währung wird demokratisch organisiert. In der Geschichte sehen wir, dass in patriarchalischen Gemeinschaften eine Yang-Währung das Monopol hatte. In matrifokalen Gesellschaften, in denen das Weibliche eine wichtigere Rolle spielte, wie in Ägypten vor einigen Tausend Jahren, im Hochmittelalter vom 10. bis 13. Jahrhundert in Europa und in der Tang-Dynastie in China, finden wir ein doppeltes Geldsystem. Ein Yang-System, um auf Abstand mit Leuten zu handeln, die man nicht kennt, und eine zweite Währung, eine Ying-Währung ohne Zinsen, die es ermöglicht, eine Gemeinschaft auf lokaler Ebene zu stärken. Durch diese zwei Arten von Geld entsteht eine Balance, ein Gegengewicht, das die Gemeinschaft stärkt.
Ich glaube, dass wir auch aus einem anderen Grund ein neues Gleichgewicht zwischen Yang- und Ying-Währungen und den entsprechenden Werten brauchen. Wir brauchen diese Entwicklung auch auf der sozialen Ebene und der ökologischen Ebene, um unsere Verbindung mit der Natur zu heilen. Der Torekes ist auch ein Beispiel für eine Öko-Währung. Sie erlaubt einer Stadt, eine andere Verbindung mit der Natur einzugehen.
e: Die Yang-Währung ist effizienzorientiert und fördert eine Effizienzkultur. Eine Ying-Währung fördert eine Beziehungskultur, die auch die natürliche Umwelt einbezieht. Eine solche Währung würde auch ein Beziehungsverhältnis zur Natur fördern.
BL: Ja, eine Gesellschaft, in der das Vertrauen wächst, stärkt auch die menschliche Resilienz. Es braucht ein Bewusstsein dafür, wie wir Geld benutzen. Eine Konkurrenz-Währung wie der Euro fördert nicht den Aufbau von Vertrauen untereinander. Um das zu fördern, muss man eine Währung ohne Wettbewerb nutzen. Jede Währung hat ihre eigene Kraft und ihre Begrenztheit. Es ist wichtig zu verstehen, welches Ziel eine Währung hat. Die Währung selbst ist kein Ziel, sondern ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Es ist wirklich schwer, dafür ein Bewusstsein zu entwickeln, welches Geld wir zu welchem Zweck benutzen. Meist ist unser Umgang mit Geld noch sehr unbewusst.
EINE GESELLSCHAFT, IN DER DAS VERTRAUEN WÄCHST, STÄRKT AUCH DIE MENSCHLICHE RESILIENZ.