Wenn der Geist Generationen überbrückt

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Kolumne
Publiziert am:

April 17, 2023

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Ausgabe 38 / 2023
|
April 2023
Unsere Weisheit
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Immer wieder war es eine tiefe Liebe und Leidenschaft. Sturm und Drang kommen mir dabei in den Sinn. Eine Zeit, in der alles noch vor mir lag, nichts schnell genug voran ging, sei es der Schutz des Klimas oder die Entwicklung hin zu einem integralen Bewusstsein. Ein Gefühl des Alleinseins begleitete mich oft. Es gab damals keine große Jugendbewegung, und auch die Themen, die mich interessierten, zogen nur wenige junge Menschen an. Viele der Älteren hatten kein Verständnis, schreckten zurück vor der Radikalität, die wohl Anfang 20 auf der Suche nach Spirit sich anders ausdrückt als mit über 50.

Doch es gab sie, die Mentoren und die Begegnungen zwischen den Generationen. Häufig waren es nicht die Worte, manchmal nicht einmal die Lebenserfahrung an sich, sondern das, was diese Menschen verkörperten. Es zog mich an, in einen beinahe magischen Bann. Hier war sie, die Möglichkeit eines integren, aufregenden und aufrichtigen Lebens. Man kann es Charisma oder Ausstrahlung nennen, doch das greift zu kurz. Vielmehr war es verkörperte Erfahrung, die unmittelbar wirkte, mich aufrichtete, mir Orientierung gab, meine Fragen und Nöte ernst nahm, ohne gut gemeinte Ratschläge zu geben. Mich manchmal irritierte, aufrüttelte und mir die Begrenzung meiner eigenen Ungeduld vor Augen führte.

Im Rückblick erscheinen mir einige dieser Begegnungen als evolutionäres Geschenk. An den tiefsten Stellen traf die Weisheit eines offenen Geistes auf meine wache Wahrnehmung des Weltgeschehens. Momente, in denen ich Eros, ein Streben und einen Entwicklungsimpuls wahrnahm, der mich mitzog, der die Generationen überbrückte und eine transgenerationale Kraft gebar, gemeinsam für Engagement und Bewusstsein im Hier und Jetzt einzustehen.

Diese Momente des Austauschs mit Mentoren und Lehrerinnen gaben mir Vertrauen und eine Wertschätzung, den eigenen Weg im Nicht-Wissen auf etwas Größeres auszurichten, trotz und gerade wegen all der Verfehlungen und Fehltritte, die ein spiritueller Weg mit sich bringt. Geduld und Demut sind sicher keine Tugenden der Jugend. Gelebt bildeten diese Tugenden jedoch einen Anker in meinem Gegenüber, was mir erlaubte, tiefer zu spüren, innezuhalten.

»Im Rückblick erscheinen mir viele Begegnungen als evolutionäres Geschenk.«

Zerrissen zwischen den vielfältigen Herausforderungen wie Klimawandel, Rassismus und den Gefahren künstlicher Intelligenz, sehe ich die nächste Generation in ihren 20ern suchen, kämpfen und auch verzweifeln. Zum ersten Mal bin ich dieses Jahr eingeladen, um als Keynote-Sprecher bei ­Oikos, einer Jugend-Initiative für Wirtschaft und Nachhaltigkeit in Witten/Herdecke, über die Komplexität unserer Zeit zu sprechen. Viele haben das Gefühl, die letzte Generation zu sein. Die Zeit scheint knapp zu werden. Ich verstehe den Unmut der Klimaaktivisten, den Schmerz der Stagnation. Und doch macht mir die Ideologisierung und Radikalität zunehmend Sorge. Bin ich alt geworden?

Je mehr ich an meiner Präsentation feile und mich frage, was ich der nächsten Generation zu sagen habe, desto deutlicher spüre ich, dass es nicht ein Mehr an Informationen braucht. Vielmehr ist es ein Ort des Nicht-Wissens, ein Vertrauen, das mehr und mehr in mir wuchs und sich aus einer Präsenz im Hier und Jetzt speist. Gelingt es mir, mich auf die Möglichkeit ­einer ursprünglichen Einheit einzulassen? Dort, wo es mir gelingt, spüre ich den Sog der Veränderung, der durch uns und zwischen uns wirkt, lebt und ­eine neue Kultur webt. Wann immer es mir gelang, mich dieser tiefen, vertikalen Verankerung hinzugeben, geschah etwas Unvorhergesehenes in meinem Leben.

Heute stehe ich an einem Wendepunkt, nicht mehr jung und noch nicht alt. Es stellt sich mir die Frage, wie ich der jungen Generation begegne. Und bei all dem Wissen und den Erfahrungen ist es doch diese Möglichkeit der emergenten Co-Kreation, die mich am meisten prägte und die ich gemeinsam co-kreieren möchte. Das Gespür und die ungestüme Aufrichtigkeit und Radikalität der eigenen Suche ist einer Standfestigkeit und einer Gelassenheit gewichen. Manche Umwege musste ich gehen, daraus lernen und Neues integrieren. Doch vieles konnte ich in den generativen Dialogen und den Erfahrungen des Seins mit Mentoren zu einer eigenen Haltung werden lassen. Wo sich Generationen in einer Offenheit und Verkörperung von Geist begegnen, entstehen für mich kleine Wunder: Zukunft angebunden an den Strom des Lebens wird geboren.

Author:
Adrian Wagner
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