Wenn eine Ikone fällt

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Kolumne
Publiziert am:

February 2, 2024

Mit:
Greta Thunberg
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AUSGABE:
Ausgabe 41 / 2024
|
February 2024
Leben, Tod
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Viele Menschen in Deutschland fragen sich gerade, wie es sein kann, dass die Ikone der Klimabewegung, Greta Thunberg, die sich durch ihr Engagement gegen den Klimawandel fast schon einen Status der Heiligkeit und des Guten erarbeitet hat, mit propalästinensischen Solidaritätskundgebungen auffällt, während sie für die Opfer der Terrorangriffe der Hamas wenig Worte findet. Als irritierend wird dies wahrgenommen, weil Thunberg mit ihrem Einsatz gegen den Klimawandel auch als moralische Autorität wahrgenommen wird.

Moralische Autoritäten leiden allerdings stets unter dem Problem der großen Fallhöhe, sei es, weil sie den in sie gesetzten moralischen Erwartungen nicht entsprechen, oder weil sie etwas tun, was andere nicht erwarten. Wir haben die Neigung, andere, die sich als unerschrockene Kämpfer für ein hohes Gut gezeigt haben, moralisch zu überhöhen, da wir eine Sehnsucht nach moralischen Autoritäten haben, an denen wir uns und unser Handeln orientieren können. Vielleicht hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass es Heilige nur in der Theologie gibt. Im richtigen Leben gibt es Menschen.

Wer in einer Sache richtig liegt, muss nicht zwangsläufig in allen anderen Angelegenheiten des Lebens eine richtige oder gute Entscheidung fällen. Ein Mensch kann in einem Bereich etwas Verdienstvolles tun und gleichzeitig bei anderen Themen daneben liegen, weil er etwas falsch einschätzt. Dies stellt aber nicht automatisch sein anderes Tun in Abrede. Im Fall Thunbergs kommt meines Erachtens noch etwas hinzu: ihre Tendenz, zu polarisieren. Für Thunbergs Anliegen, den Klimawandel ins öffentliche Bewusstsein zu holen, war und ist es hilfreich, zugespitzt und polarisierend zu agieren. »Es gibt keine Grauzonen, wenn es ums Überleben geht«, ist eine ihrer Überzeugungen. Sichtlich empört rief sie den Versammelten des UN-Klimagipfels 2019 zu: »Menschen leiden, Menschen sterben, ganze Ökosysteme kollabieren. Wir sind am Anfang eines Massen-Aussterbens, und alles, worüber Sie reden können, sind Geld und Märchen vom ewigen wirtschaftlichen Wachstum. How dare you?!«

»Ein Denken, das Grautöne vermeiden möchte, wird der Komplexität der Realität selten gerecht.«

Ihre Empörung zeigt aber auch die Zweischneidigkeit der fehlenden Grauzonen: Als moralische Empörung ist die Zuspitzung wichtig, aber sie simplifiziert. Mittlerweile sehen wir, dass der Klimawandel ohne sehr viel Geld nicht bewältigt werden kann, da die großen Umwandlungen enorme Kosten verursachen werden. Dieses Geld, das Politiker und Politikerinnen benötigen, muss jedoch erwirtschaftet werden. Ein Denken, das Grautöne vermeiden möchte, wird der Komplexität der Realität selten gerecht. Dies betrifft ebenso den aktuellen Konflikt zwischen Israel und der Hamas. ­Greta Thunberg ist, wie viele junge Menschen, die sich als politisch linksstehend verstehen, von identitätspolitischen Theorien geprägt. Die dort vertretenen Theorien bestechen leider nicht immer durch Komplexität. Dies trifft auch auf Ideen des Postkolonialismus zu, der im linken Lager als wichtige Erklärungsfolie des Konflikts gilt.

Gemäß postkolonialistischen Theorien wird Israel durch seine Verbundenheit mit Amerika als imperialistischer Staat gesehen, dessen Gründung als kolonialistisches Projekt gelesen wird. (Als Kolonialisten gelten Fremde, die einer einheimischen Bevölkerung ihr Land rauben.) Diese Lesart im Kontext der Staatsgründung ­Israels ist allerdings nur möglich, wenn man historische Tatsachen ignoriert. So lebten auf dem Gebiet des heutigen Staates Israel über die letzten zweitausend Jahren immer auch Juden. Die Palästinenser werden gemäß dieser Theorie nicht nur als »Natives« gesehen, denen ihr Land geraubt wurde, sondern sie gelten als People of Color, während die Israelis als Weiße gelesen werden. Dass diese schablonenhafte Zuordnung in diesem Konflikt ein unfreiwillig komisches Potenzial hat, zeigt sich, wenn man bedenkt, dass die Hälfte der israelischen Juden und Jüdinnen selbst nordafrikanische, arabische oder persische Wurzeln hat und in der Sprechweise des Postkolonialdiskurses eigentlich als sogenannte People of Color gelten müsste, was ihr aber verwehrt wird, da sie aus Juden besteht. In identitätspolitischen Debatten werden Juden als Teil der weißen, privilegierten Welt gesehen.

Im aktuellen Konflikt wird der Status der People of Color somit automatisch und ausschließlich den Palästinensern vorbehalten. Im identitätspolitischen Diskurs gelten Opfer aufgrund ihres Opferstatus zudem als gut, egal was sie tun. Dies ermöglicht es dann, die Hamas als eine palästinensische Befreiungsorganisation zu lesen. Das vorsätzliche Abschlachten von Zivilisten, (die in diesem postkolonialen Bewertungsrahmen zudem als potenzielle Täter gelten), kann dann als Ausdruck eines Befreiungskampfes interpretiert werden. Aus Mördern, die eine irrsinnige Gewaltorgie veranstaltet haben, werden Freiheitskämpfer. Freiheitskämpfer, die nach Aussagen ihrer obersten Führungsriege jedoch gar kein Interesse an der Freiheit und den Lebensbedingungen ihres Volkes haben, sondern nur ein Interesse verfolgen: die totale Auslöschung ihres Feindes Israel.

Author:
Dr. Katharina Ceming
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