Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
November 6, 2020
Als Architekturstudenten in Brasilien suchten Rodrigo Rubido und seine Freunde nach neuen, gemeinschaftlichen Wegen, um Stadtteile, Nachbarschaften, Gemeinschaften und die Gesellschaft so zu gestalten, dass die Menschen aus ihren tieferen Ressourcen und Träumen leben. Daraus entstand das Elos Institut, mit dem sie weltweit einen integrativen Transformationsprozess erforschen.
evolve: Eure Arbeit bei Elos konzentriert sich auf Gemeinschaften. Was macht ihr mit den Gruppen? Wie ist eure Arbeit aufgebaut?
Rodrigo Rubido: Die Elos-Philosophie besteht im Grunde aus sieben praktischen Elementen, die aufeinander aufbauen und sich in allen Programmen wie beispielsweise dem »Oasis Game« wiederfinden. Wir beginnen damit, das Potenzial des jeweiligen Ortes und der Menschen zu entdecken und anzuerkennen. Wir üben einen wohlwollenden Blick auf die Gemeinschaft und ihre Umgebung, indem wir nur auf das Positive schauen. Diesen ersten Schritt nennen wir »The Gaze«. Und dieser erste Blick ist herausfordernd, weil wir in schwierigen Gegenden wie brasilianischen Favelas arbeiten. In unserer Kultur sehen wir häufig zuerst die Probleme, aber wenn wir uns für die schönen Seiten öffnen, dann finden wir viele Ressourcen. Oftmals denken die Menschen, sie wären arm. Aber sie haben auch ungenutzte Ressourcen, wie ihre Talente und die Menschen, die sich um die Gemeinschaft kümmern. Wir bitten die Teilnehmer, diese Schönheit zu finden und zu benennen.
Das führt uns zum zweiten Schritt, den wir »Affection« nennen. Wir bitten die Teilnehmer, die Menschen, die hinter der Schönheit stecken, zu finden und in einen Austausch mit ihnen zu kommen. Wenn ich einen schönen Garten gefunden habe, würde ich also mit der Person sprechen, die den Garten angelegt hat, und zum Ausdruck bringen, dass ich von ihrem Garten berührt bin. Wenn ich von außerhalb in eine Favela komme und mit einem Anwohner in einen Dialog über das Schöne trete, verändert sich die Beziehung ganz grundlegend.
Dadurch entsteht eine Verbindung, die wiederum die Basis für den nächsten Schritt ist, den wir »The Dream« nennen. Wir befragen die Menschen zu den Träumen, die sie für ihre Gemeinde haben. Wir beginnen mit persönlichen Gesprächen und laden dann zu einem gemeinsamen Treffen ein, wo all diese Visionen geteilt werden können. Das ist ein sehr kraftvoller Moment, denn wir sind es gewohnt, den Fokus auf den individuellen Erfolg zu legen und von anderen zu erwarten, sich um die Gemeinschaft zu kümmern. Diese kulturelle Angewohnheit möchten wir verändern. Wir glauben daran, dass wir eine stärkere Gemeinschaft und Gesellschaft werden können, wenn wir mit unseren Nachbarn in einen Dialog über unsere positiven Zukunftsvisionen treten.
Im vierten Schritt »The Care« lassen wir den Traum wahr werden, indem wir einen Plan und eine Strategie zur Umsetzung formulieren. In einem Meeting aller Beteiligten laden wir ein, ein Projekt zu entwerfen, das den gemeinsamen Träumen entspricht. Es geht nicht darum, die beste Idee auszusuchen, wir arbeiten aus der Perspektive der Fülle. Das bedeutet, dass wir die besten Lösungen in jeder Idee solange miteinander kombinieren, bis wir ein Ergebnis haben, das für alle inspirierend ist. Dann setzen wir das Projekt gemeinsam um, und das in sehr kurzer Zeit. Das ist das Geheimnis dieses Schritts: Die Leute haben keine Zeit daran zu denken, dass es nicht möglich ist. Es ist ein sehr chaotischer Moment, denn jeder möchte etwas beitragen.
Wenn dann in zwei Tagen alles zusammenkommt, geschieht das Wunder. Im fünften Schritt »The Miracle« packt die ganze Gemeinschaft mit an. Und am Ende feiern wir. »The Celebration« ist der sechste Schritt, den wir mit der Gruppe gehen. Eine unserer Inspirationen sind die traditionellen Kulturen, in denen das Feiern von gemeinsamen Erfolgen von großer Bedeutung ist. Wir alle haben dort unsere Wurzeln. Feste können uns daran erinnern, dass wir glücklicher sind und Gutes schaffen, wenn wir zusammenarbeiten. Ein anderer zentraler Aspekt von Festen ist, dass sie unsere Errungenschaften in der materiellen Welt mit einer Quelle verbinden, die nicht materiell ist. Es ist wie Seelennahrung für uns, denn am Ende sind wir doch alle auf der Suche nach einer Erfüllung, die über das rein Materielle hinausgeht.
WIR ÜBEN EINEN WOHLWOLLENDEN BLICK AUF DIE GEMEINSCHAFT UND IHRE UMGEBUNG.
Der letzte Schritt ist die »Re-Evolution«. Es ist eine Einladung an die Gemeinschaft, diese Kultur der Zusammenarbeit weiterzuführen, um größere Ziele zu erreichen. An einem Wochenende lässt sich ein Park anlegen, aber in einem Jahr könnte etwas viel Größeres vollbracht werden. Alle Träume der Gemeinschaft können an dieser Stelle gesammelt werden. Vielleicht ist es eine Tagespflege, vielleicht ein Gesundheitsprogramm. Die Menschen haben gelernt, wie sie zusammenkommen können. Sie haben den Wert der Verbundenheit kennengelernt und sie haben eine Zukunftsvision gefunden.
e: Du hast die kollektive Intelligenz erwähnt. Habt ihr einen besonderen Ansatz, um kollektive Entscheidungsprozesse zu begleiten?
RR: Wir lehren eine Entscheidungsfindung aus dem Herzen. Wenn wir nur im Kopf sind, neigen wir dazu, über Ideen zu streiten. Aber wenn wir uns mit dem Herz verbinden, gewinnen wir an Flexibilität. Unser Prozess öffnet die Menschen für diese andere Art der Verbindung. Wenn wir mit »The Gaze« beginnen, entwickeln die Menschen ein Wohlwollen für ihre Gemeinschaft. Das erzeugt ein Feld des Vertrauens. Diese Methode macht es möglich, uns selbst und unsere Beziehungen in einem anderen Licht zu erfahren. Die Menschen lernen, dass sie kooperieren und gemeinsam etwas erreichen können, auch wenn sie in anderen Punkten unterschiedlicher Auffassung sind.
e: Wie siehst du eure Arbeit vor dem Hintergrund der sozialen und politischen Situation in Brasilien? Während dieser Pandemie lässt sich ein hohes Maß an Polarisierung beobachten. Siehst du eure Arbeit auch als Beitrag für einen größeren gesellschaftlichen Wandel?
RR: Ich hätte nie gedacht, dass Brasilien solch einen Präsidenten wählen würde. Und es gibt immer noch viele Menschen, die ihn unterstützen. Ich verstehe nicht, wie man ein friedliebender Mensch sein kann, der nicht mit seinen Nachbarn im Streit leben möchte, und gleichzeitig unseren Präsidenten unterstützt, der fortwährend über Krieg und mit Symbolen von Gewalt spricht. Werte wie Frieden und Respekt sollten ausreichen, um diese Regierung nicht zu unterstützen. Auf der regionalen Ebene teilen die Menschen häufig diese Werte. Es gibt mir Hoffnung zu wissen, dass sie sich in ihrer Nachbarschaft weitgehend anständig verhalten. Die politische Lage auf Landesebene macht mir bewusst, wie wichtig es ist, den Dialog zwischen verschiedenen Gruppen zu fördern. All unsere Programme haben das Anliegen, Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander zu verbinden. Der Name Elos bedeutet Verbindung. Die verschiedenen Welten müssen sich intensiver treffen und miteinander sprechen.