Wider die Ironie

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Interview
Publiziert am:

January 24, 2018

Mit:
Norman Foster
Raoul Eshelman
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AUSGABE:
Issue 17 / 2017:
|
January 2018
Die Postmoderne und darüber hinaus
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Wie Kunst neue transzendente Räume schafft

Der Literaturwissenschaftler Raoul Eshelman sieht in den letzten 15 Jahren in der Kunst einen Trend, der seiner Ansicht nach über die Haltung der Postmoderne hinausgeht. In Film, bildender Kunst und Architektur sieht er immer mehr Werke, die den Betrachter oder Zuschauer dazu verführen, an etwas zu glauben. Nicht im Sinne religiöser oder spiritueller Lehren, sondern vielmehr in einem Horizont des Möglichen, der sich in der Gestaltung der Werke eröffnet.

Emanuela Assenza

evolve: Sie beschäftigen sich als Kunstwissenschaftler unter anderem mit neuen Entwicklungen in der Kunst, die einen Schritt über die Postmoderne hinaus andeuten. Wie haben Sie selbst die Entwicklung der Postmoderne erlebt?

Raoul Eshelman: Ich bin in den USA aufgewachsen und mein Vater war in der Anti-Kriegsbewegung aktiv, was meine Sicht auf die Welt stark geprägt hat. Im Grunde war es eine Haltung des Widerstandes, eine ironisierende Haltung der Machtlosen und Oppositionellen in den USA. Die ironische Sprache des Widerstandes haben wir damals benutzt und verstanden. Und diese Haltung war damals auch völlig berechtigt.

Daraus ist im Verlauf der Entwicklung der Postmoderne eine Art Abwehrhaltung geworden, die sich in der Kunst, in der Literatur, in der Kultur insgesamt vor allem durch die ironische Unterwanderung der modernen, utopischen Ansprüche zeigt. Das Hauptanliegen der postmodernen Autoren war immer, sich gegen die utopischen Ansprüche und den Totalitarismus der Moderne zu wenden und sie zu hinterfragen. Das ist der ethische Kern der Postmoderne. In diesem Sinne war die Postmoderne auch durch die Fehlentwicklungen der Moderne bedingt, wie den Holocaust oder die Gulags oder auch den entfesselten technischen Fortschritt.

Wie diese postmoderne Haltung sich dann in den 80er und 90er Jahren entwickelt hat, habe ich zunehmend als übertrieben empfunden. Die Widerständigkeit wurde fast ad absurdum geführt, vor allem im künstlerischen und akademischen Bereich. Insbesondere im angelsächsischen Raum war eine zynische und ironische Haltung zu beobachten, die alle Fachrichtungen durchdrungen hat. Man hat keine eigenen Positionen mehr bezogen, sondern sich in einer unendlichen Nachkritik fremder Positionen verloren.

Endlose Kritik

e: Die Kunst und die akademische Welt sind zwei Bereiche, in denen die Postmoderne eine gewisse gesellschaftliche Vorherrschaft erreicht. Worauf richtet sich Ihrer Ansicht nach das Hinterfragen der Postmoderne, das vor allem auch in der Kunst und der akademischen Welt an Einfluss gewann?

RE: Hinterfragt wird vor allem die Vorstellung, dass man gewisse gesellschaftliche Utopien verwirklichen kann. Kunst und Literatur der Moderne sind von der Idee durchdrungen, dass eine solche Utopie möglich ist. Auch die Idee von Hierarchien in der Gesellschaft wird hinterfragt. Man könnte es so zusammenfassen, dass es in der Postmoderne kein übergeordnetes Ziel mehr gibt, und dass jegliche Art von Zielsetzung – sei sie politisch oder künstlerisch – kritisch hinterfragt werden muss.

e: Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie sich diese postmoderne Haltung in der Kunst und Kultur zeigt?

RE: Da das Fernsehen immer noch eines der einflussreichsten Medien ist, könnte man Sendungen wie »Die Simpsons« oder »Family Guy« als Musterbeispiele der Postmoderne bezeichnen. In diesen Sendungen werden im Grunde nur Individuen und Familien gezeigt, die mit dem Leben nicht zurechtkommen und in witziger Form dargestellt werden. Man ist in gewisser Weise gezwungen, gegenüber der zerrütteten und orientierungslosen Verfassung dieser Menschen eine ironische Haltung einzunehmen. Man erkennt sich zum Teil selbst darin wieder, hat aber gleichzeitig einen gewissen ironischen Abstand dazu.

Im Bereich der Filmkunst sind viele Autorenfilme der 60er Jahre ein Beispiel für eine postmoderne Haltung. Ein herausragendes Beispiel für mich ist der Film »Der Spiegel« von Andrei Tarkowski, in dem es um unendliche Spiegelungen einer Person geht, die mit einer unendlichen Spiegelung in der Gesellschaft verflochten ist. So entsteht ein Netzwerk von Spiegelungen und Verweisen, in denen man sich endlos verirrt.

Die Postmoderne hat eine unendliche Kritik und Ironisierung gepflegt.

e: Dieser Film ist insofern ein gutes Beispiel, weil die Spiegelung auch die postmoderne Grundhaltung gut beschreibt, dass die ganze Wirklichkeit eigentlich ein sich selbst bespiegelndes Spiegelkabinett ist. Darin ist keine kohärente Realität erkennbar, sondern ein Spiel von Gebrochenheit oder gar Beliebigkeit, in dem es keine Sinnzusammenhänge gibt.

RE: Ja, ein anderes Beispiel ist der Film »Letztes Jahr in Marienbad« von Alain Resnais aus dem Jahr 1961, der eine ähnliche Struktur aufweist. In diesem Film ist alles Selbstbezug, ist Spiel, ist künstlich und es gibt kein Entrinnen aus diesem Spiel der Verweise. Die Verweise und Spiegelungen, diese endlosen Bezüge, machen es unmöglich, dass wir uns auf eine Ganzheit oder Zielsetzung festlegen können. Damit wird strukturell verhindert, dass wir uns auf ein übergeordnetes Ziel beziehen können – ein Grundmerkmal postmoderner Kunst.

Ein negatives Beispiel für mich war 2008 ein Film der Coen-Brüder namens »Burn after Reading«, der sämtliche Klischees der Postmoderne durchspielte: eine paranoide, orientierungslose Welt, die als hoffnungslos verwirrt dargestellt wurde. Für mich wirkte das nicht mehr lustig oder gar kritisch, sondern erschien mir als eine Reihe vorhersehbarer Klischees. Da wusste ich, dass künstlerisch für mich die Postmoderne tot war.

e: Sie sagen, dass es nun immer mehr Werke in Kunst, Film und Architektur gibt, die einen Schritt über diese postmoderne Haltung hinausgehen. Können Sie dafür einige Beispiele geben und erklären, worin Ihrer Ansicht nach dieser Schritt besteht?

RE. Um zunächst beim Film zu bleiben: Eine prägende Erfahrung war für mich, als ich 1999 den Film »American Beauty« geschaut und ihn mit meiner ironischen postmodernen Haltung zunächst nicht verstanden habe. Dieser Versuch, das endgültige Hinterfragen zu verlassen, war für mich sehr markant, denn das darf es in der Postmoderne nicht geben. In diesem Film geht es vordergründig um eine Satire der amerikanischen Gesellschaft. Die Menschen betrügen sich, werden durch den Kapitalismus ausgebeutet und das Thema des Films scheint zunächst postmodern ironisch behandelt zu werden. Das Besondere an dem Film ist, dass er uns in eine Falle lockt. Der Hauptprotagonist Lester Burnham, der am Ende von einem abgelehnten homosexuellen Liebhaber erschossen wird, schaut nach seinem Tod auf die Welt herab und sagt: »Die Welt ist schön und auch Sie werden das erkennen, wenn Sie gestorben sind.« Er ist dankbar für jeden Moment seines »dummen, kleinen Lebens« und für die Schönheit in der Welt. Hier wird mit den Mitteln der Postmoderne gearbeitet, aber sie werden gegen sie selbst gewendet.

Ein anderes Beispiel, aus der Architektur, ist für mich der Reichstag in Berlin. Als ich den neuen Reichstag von Norman Foster zum ersten Mal gesehen habe, war es für mich eine Art Epiphanie. Ich kannte den Reichstag vor dem Umbau und habe auch die Verhüllung durch Christo verfolgt. Die Verhüllung arbeitete mit der Oberfläche, sie hatte eine gewisse Ausstrahlung und einen gewaltigen ästhetischen Effekt. Man kann sagen, es war im klassischen Sinne schön. Aber die Verhüllung deckt keine Wahrheit auf – das klassische Ziel der Philosophie und der Wahrheitsfindung überhaupt, vor allem in der Moderne. Was Christo im Sinne der Postmoderne macht, ist das Gegenteil der Moderne, seine Verdeckung ist ein ironisches Spiel. Sie entfaltet eine gewaltige, ästhetisch positive Wirkung, aber sie ist nicht dauerhaft. Nach dem Ende der Aktion kehrt man zum Alltag zurück, es gibt also kein Ziel über dieses Spiel mit Effekten hinaus. Bei der Renovierung von Norman Foster sieht man einen gegenteiligen ästhetischen Ansatz. Der Reichstag war ein dunkles Gebäude und Foster hat diese dunkle Masse des Gebäudes mit Glas und der begehbaren Kuppel aufgebrochen. Damit hat er auch gezeigt, wie man die historische Masse dieses Gebäudes mit architektonischen Mitteln transzendieren kann.

Die performatistische Wende, wie ich diese neue Bewegung in der Kunst nenne, bedeutet, dass man wieder versucht, Glauben durch die Form hindurch – per formam – zu stiften. Das heißt, dass ein architektonisches Verfahren wie die Verglasung der Reichstagskuppel dazu führt, dass wir das Gefühl haben, dass die materielle Form dieses Gebäudes überwunden wird – und im metaphorischen Sinne auch dessen schwer belastete Vergangenheit. Wenn man die Kuppel begeht, eröffnet sich buchstäblich ein neuer Horizont.

e: Sie sprechen im Sinne dieser performatistischen Wende auch von der »Rückkehr des Glaubens«. Was meinen Sie damit?

RE: Ich meine eine Rückkehr zum Glauben, die auf den Menschen bezogen ist. Es handelt sich nicht um einen institutionellen Glauben, sondern darum, dass man durch Kunst, Literatur und Film so beeinflusst wird, dass man wieder Vertrauen empfindet – z.B. Vertrauen in fiktive Charaktere. Vertrauen ist das beste Beispiel für einen kulturell gelebten Glauben. Glaube ist eine Art Projektion, man hat eine Person, einen Gegenstand oder eine Begebenheit vor sich und man projiziert den eigenen Willen darauf.

Vertrauen ist das beste Beispiel für einen kulturell gelebten Glauben.

Meiner Ansicht nach erleben wir in den letzten 15 bis 20 Jahren die Rückkehr des Glaubens als bestimmende Kraft in unserer ansonsten säkular geprägten Kultur. Dies bedeutet allerdings weder eine Hinwendung zur Mystik noch die Wiederkehr institutionalisierter Religionslehren. Vielmehr äußert sich der Glaube – verstanden als beharrliches Vertrauen in ein höheres Prinzip oder aber in andere Menschen – in der Konstruktionsweise unzähliger Romane, Filme, Bücher, Kunstwerke und architektonischer Bauwerke. Es geht also nicht so sehr um Sinn oder um einen näher bestimmbaren geistigen Gehalt, sondern vielmehr darum, dass wir verschiedene Formen des Glaubens durch Kunst, Architektur, Film und Literatur unterschwellig – also durch ihre Form und Gestaltung hindurch – erfahren. Meine These ist, dass in Werken der Kultur die Techniken des Glaubens erneut auf uns einwirken, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind. Durch künstlerische Mittel wird versucht, den Betrachter oder Zuschauer gewissermaßen zu zwingen, an etwas zu glauben.

e: Es geht also nicht um einen Glauben an bestimmte Glaubensinhalte oder einen wie auch immer gearteten Gott, sondern um ein Vertrauen in Menschen oder in das Leben, das sich durch die Gestaltung der Werke unterschwellig vermittelt. Sie sagen gar, dass man gezwungen wird, an etwas zu glauben. Können Sie das noch etwas erläutern?

RE: Die Postmoderne hat eine unendliche Kritik und Ironisierung gepflegt. Die neue Aufgabe, die zunächst einmal nicht bewusst gestellt wurde, bestand darin, dieser Ironie etwas entgegenzusetzen. Aber wie? Wenn man es durch Argumentieren versucht, spielt man sozusagen in die Hände der Postmodernisten, denn mit einem Hin und Her im Diskurs würde diese unendliche Kritik einfach weitergeführt werden. Eine unbewusste Gegenmaßnahme war der Versuch, mit filmischen oder erzähltechnischen Mitteln Fallen für die Zuschauer oder Leser zu stellen, damit sie nicht umhinkamen, an etwas zu glauben.

Glauben in der Politik

e: Momentan gibt es ein Hinterfragen der Postmoderne auch von anderer Seite. Die populistischen Bewegungen in Europa und Politiker wie Trump und Putin vertreten in gewissem Sinne anti-postmoderne Ideen. Wie würden Sie diese anti-postmodernen Bewegungen einordnen?

RE: Jede Epoche hat sowohl reaktionäre als auch progressive Ausdrucksformen und man kann eine Epoche nicht einfach in eine bestimmte ideologische Ecke schieben. Unter diesem Vorbehalt würde ich sagen, dass sich diese gesellschaftspolitischen Entwicklungen, wie wir sie bei Trump, Putin oder im Rechtspopulismus sehen, als anti-postmodern verstehen. In den USA haben sich viele von Trumps Wählern gegen die sogenannte politische Korrektheit gewandt. Bei Putin werden der angeblichen westlichen Dekadenz religiöse und patriotische Ideen und Glaubensinhalte entgegengestellt. Dies sind die reaktionären Auswüchse der Post-Postmoderne. Aber wir sehen auch progressive politische Erscheinungsformen wie die Politik Obamas, die man auch als post-postmodern verstehen kann, mit dem Versuch, die demokratischen und republikanischen Staaten miteinander zu versöhnen. Dieser Anspruch lässt sich auch mit einem übergeordneten Glauben verbinden. Dass es politisch nicht umzusetzen war, ist eine andere Sache.

Ein anderes positives Beispiel in Deutschland ist das Verhalten Angela Merkels, die normalerweise sehr vorsichtig und abwägend ist. Aber ihre Entscheidung, die vielen Flüchtlinge ins Land zu lassen, kann man nur mit einem Glauben bewältigen.

e: Man könnte es allerdings auch als postmoderne Seite von Angela Merkel bezeichnen.

RE: Das würde ich nicht so sehen. Wir befinden uns auf einem schwierigen Terrain, denn was meinen wir mit postmoderner Politik? Die Einladung Merkels an die Flüchtlinge ist meiner Ansicht nach insofern post-postmodern, als sie mit einem Glaubenssatz verbunden war: »Wir schaffen das!« Sie glaubte daran, dass Deutschland das kann. Es ist in gewisser Weise ein Glaubensbekenntnis, das über eine ironische oder zynische postmoderne Haltung hinausgeht.

Insgesamt müssen wir aber sehr vorsichtig damit sein, Kunst oder Kultur mit Politik zu vermengen. Die vertrauensbildenden Maßnahmen in der Kunst funktionieren auf eine grundsätzlich andere Weise als Aussagen in der Wirklichkeit. In der Kunst liegt der Unterschied darin, dass der Autor die Kontrolle über sein Werk hat. Der Autor kann sein Werk so einrichten, dass wir Vertrauen in bestimmte Personen oder Aussagen verbindlich fassen.

Raum für Transzendenz

e: Aus welchem Grund kommt es Ihrer Ansicht nach zu einer neuen post-postmodernen Bewegung in der Kunst?

RE: Zunächst ist es ein Überdruss an den immer wieder genutzten Argumenten und Kunstverfahren. Der andere Punkt ist, dass sich bestimmte Möglichkeiten bereits erschöpft haben, also man kann nicht in die Moderne zurück. Meine Grundthese ist: Die Wiederentdeckung einer glaubenden Haltung tritt an die Stelle der modernen und postmodernen Haltung.

Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, wie der Glaube in der Kultur inszeniert wird. Und wie durch Literatur und Kunst eine Erfahrung von Transzendenz ermöglicht wird. Transzendenz bedeutet hier für mich, dass Zustände gezeigt werden, die sich positiv verändern lassen. Wenn sich Dinge sprunghaft und im positiven Sinne verändern lassen, dann haben wir es zumindest mit der Möglichkeit der Transzendenz zu tun. Je markanter diese Sprünge realisiert werden, desto stärker ist diese Tendenz hin zur Post-Postmoderne.

e: Können Sie ein Beispiel für diesen Umgang mit Transzendenz in der Kunst geben?

RE: Bei Tim Eitel, einem Maler der Neuen Leipziger Schule, finden wir Gemälde, die an romantische Zitate wie »Der Wanderer über dem Nebelmeer« von C. D. Friedrich erinnern, wo eine Gestalt in eine Ferne schaut, die eine Erfahrung der Transzendenz beschwört. Der große Unterschied aber besteht darin, dass bei Friedrich die Transzendenz, die Göttlichkeit, das Jenseitige bildhaf direkt angedeutet wird – durch eine leuchtende Sonne, erhabene Berge, den Himmel. Bei Eitel werden keine konkreten Symbole der Transzendenz gezeigt, sondern eine Möglichkeit: eine Fläche, ein blau-monochromer Himmel, der den Großteil des Bildes einnimmt. Es wird also eine gewisse Möglichkeit gezeigt, die aber nicht direkt mit einer religiösen Symbolik verbunden ist.

Die Erfahrung des Glaubens entsteht im Betrachter also nicht durch direkte Bezüge oder Symbole, sondern durch die Form und Gestaltung des Werkes. Es lässt in gewisser Weise einen Raum der Möglichkeit, in dem der Betrachter Vertrauen und Glauben empfinden kann. Räume, die es in der Ironie der Postmoderne nicht geben darf. In diesem Sinne spreche ich von einer Rückkehr des Glaubens in der Kunst.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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