Wir sind Evolution

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Porträt
Publiziert am:

April 21, 2017

Mit:
Barbara Marx Hubbards
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AUSGABE:
Ausgabe 14 / 2017:
|
April 2017
Leben lernen
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Leben und Vision der Barbara Marx Hubbard

Im August 1945, als über Hiroshima und Nagasaki zum ersten Mal Atombomben abgeworfen wurden, war Barbara Marx Hubbard 15 Jahre alt. Diese historischen Ereignisse, die die Welt für alle Zeiten verändern sollten, hatten eine tiefe existenzielle Wirkung auf das junge Mädchen. Sie fragte sich: »Wie können unsere neuen Fähigkeiten auf heilsame Weise eingesetzt werden?« Bis heute ist ihr Leben eine Suche nach der Antwort auf diese Frage – und mehr noch, eine Suche danach, selbst Teil der Antwort zu sein. Ihr ganzes langes Leben lang versuchte sie, die gottähnlichen Kräfte der Atomenergie, der Weltraumfahrt, des ­Internets oder der künstlichen Intelligenz mit der ebenso notwendigen Evolution unseres Bewusstseins zu verbinden. Ihre Arbeit konzentrierte sich mehr und mehr darauf, die kreativen Energien in jedem Menschen zu wecken, die sie als Ausdruck der Triebkraft der Evolution selbst betrachtet.

Als ich sie vor einigen Wochen über Skype anrief, traf ich eine Frau, die heute, mit 87 Jahren, noch voller Energie und Vision ist – wie sie es schon ihr ganzes Leben lang war. Barbara wurde 1929 in das Amerika der Großen Depression hineingeboren. Doch sie bekam diese schweren Zeiten nicht zu spüren, denn sie verlebte eine privilegierte Kindheit in New York als Tochter eines bekannten Spielzeugfabrikanten. Sie besuchte die prestigeträchtige Danton School und studierte Politikwissenschaft an der ­Sorbonne in Paris sowie am Bryn Mawr College in Pennsylvania. Der Hauptantrieb in ihrem Studium waren die existenziellen Fragen, die der frühe Tod ihrer Mutter sowie die politischen Gefahren des Kalten Krieges und der atomaren Aufrüstung hervorgerufen hatten. Doch in der Schule und an den Universitäten fand sie kaum befriedigende Antworten auf ihre Suche nach dem Sinn.

1949, während ihres Studiums in Paris, traf sie dann jemanden, den zumindest dieselben Fragen bewegten. In einem Café an der Seine wechselte Barbara ein paar Worte mit Earl Hubbard und wusste, dass sie diesen Mann heiraten würde. Er war Künstler und erfüllt von derselben Suche nach dem tieferen Potenzial unseres Menschseins. Einige Monate später schon waren sie verheiratet und zogen in eine Kleinstadt in Connecticut, wo ihr Mann in aller Abgeschiedenheit seiner künstlerischen Arbeit nachgehen konnte. Barbara wurde Hausfrau und Mutter von vier Kindern – aber sie wurde auch depressiv. Nachdem sie sich einige Jahre um ihren Mann und ihre geliebten Kinder gekümmert hatte, spürte sie, dass eine umfassendere Form der Mutterschaft auf sie wartete.

¬ Die innere Motivation des Menschen, etwas Neues zu schaffen, ist die innere Motivation der Evolution.¬

Barbara begann zu lesen. Bei den Büchern von Abraham ­Maslow, der davon ausging, dass wir alle ein Verlangen nach Selbst-­Verwirklichung und Selbst-Transzendenz in uns tragen, spürte sie eine Resonanz mit ihrer eigenen inneren Sehnsucht. Aber besonders das Buch »Der Mensch im Kosmos« von Teilhard de Chardin erschloss ihr eine ganze neue Welt, die sie intuitiv schon gespürt hatte: »Darin beschreibt Teilhard die Richtung der Evolution hin zu einem höheren Bewusstsein, die irgendwann zu einem planetaren Erwachen der Liebe führt.« Dabei ist der innere Impuls zu wachsen, sich zu entwickeln, die tiefste Sehnsucht zu entfalten, für Teilhard nicht zu unterscheiden von dem tiefen Beweggrund der Evolution, der Liebe. Barbara fühlte sich zutiefst verstanden.

Für Teilhard besteht der nächste Schritt in der Evolution des Menschen in der Entwicklung zum universalen Menschen, zur universalen Menschheit. Diese Idee inspirierte Barbara, und als sie im Jahr 1962 sah, wie das Raumschiff »Friendship 7« in Richtung Weltraum abhob, spürte sie, dass die Menschheit dabei war, diesen Schritt zu tun: »Es geschieht nicht oft, dass man eine Spezies im Moment des Wandels, der Evolution beobachten kann … Dies wird die gesamte Menschheit verändern.« Für sie war diese technische Innovation ein Teil des Geburtsprozesses einer planetaren Spezies. Durch die Vermittlung eines Freundes, der Beziehungen zur NASA hatte, konnte sie den Luftwaffenoffizier John Whiteside kennenlernen, mit dem sie über ihre Ansichten zur Bedeutung der Weltraumforschung für die Menschheit sprach. Sie war überrascht, dass der Offizier sich in seiner tiefen Motivation für diese Arbeit verstanden fühlte. Bei diesem und weiteren Treffen empfand sie etwas, was sie bei ihrem Ehemann Earl nicht erfahren konnte. In ihren Gesprächen mit John fühlte sie sich wie eine Mitschöpferin. Gemeinsam entwickelten sie das Projekt »Harvest Moon«, das bei einer breiteren Öffentlichkeit das Interesse an der Weltraumforschung wecken sollte, sowie die SYNCON genannten Konferenzen, bei denen sie Führungskräfte aus der Wirtschaft, Politiker und andere einflussreiche Personen zusammenbrachten mit dem Ziel, »neue Welten auf der Erde und neue Welten im Weltraum« zu erforschen. Bei diesen SYNCON-Konferenzen, die in unterschiedlichen Teilen der USA abgehalten wurden, fand Barbara zu ihrer eigenen Stimme und wuchs weit über die Rolle der Hausfrau im Hintergrund hinaus. Sie fand ihren eigenen kreativen Ausdruck, was zum Ende ihrer Ehe mit Earl führte.

Barbara und John wurden ein Paar, ein ko-kreatives Paar, und zogen in ein Haus namens Greystone, das Barbaras Schwester gehörte und zu einem »Zentrum für bewusste Evolution« wurde, in das sie Menschen aus aller Welt einluden, um mit ihnen die ­Potenziale der Zukunft zu diskutieren. Sie entwickelten auch einen Event namens »Theater für die Zukunft«, wobei mittels Geschichten, Multimedia und Kunst ein mögliches planetares Erwachen spürbar werden sollte.

Im Jahr 1981 starb John, doch Barbara ging den Weg weiter, den sie beide begonnen hatten: mehr und mehr Menschen mit der Geschichte einer bewussten Evolution und einer planetaren Menschheit bekannt zu machen. Eine besondere Chance, dieses Ziel zu verfolgen, ergab sich 1983: Einflussreiche Freunde schlugen ihr vor, sich für die Demokratische Partei um das Amt der Vizepräsidentin zu bewerben. Zwar führte ihre Bewerbung nicht zum Erfolg, dennoch hatte sie die Gelegenheit, vor wichtigen Politikern zu sprechen und sie für ihre Ideen eines »Peace Room« und eines »Zukunftsministeriums« zu begeistern.

In den darauffolgenden Jahren, bis zum heutigen Tag, nutzte Barbara ihr immer weiter wachsendes Netzwerk, um das planetare Erwachen zu unterstützen, an dem sie ihr ganzes Leben lang in ­Dialogen mit führenden Denkern und Visionären geforscht hat und das sich ihr in immer tieferen spirituellen Erfahrungen erschloss. Ihre Wissbegier scheint ihr Alter außer Kraft zu setzen. Mit bald 90 Jahren ist sie so inspiriert und voller Pläne wie immer. Sie sagt: »Das kommt daher, dass ich eine sehr tiefe Mission habe. Ich glaube, die innere Motivation aller Menschen, etwas Neues zu schaffen, ist die innere Motivation der Evolution selbst, die sich in dir und mir auf jeweils einzigartige Weise inkarniert. Und wenn du diese Motivation 100-prozentig bejahst, wird sie so stark in dir, dass du nicht älter wirst, sondern neuer. Du wirst neuer, weil die Welt immer wieder neu ist.«

Ihr Weg von der Hausfrau zur selbstständigen, ko-kreativen ­Visionärin führte sie zum intensiven Nachdenken über die Rolle der Frauen bei einem planetaren Erwachen. Sie erkennt eine ganz neue Lebensphase bei Frauen, die sie die »Regenopause« nennt – Frauen nach dem 50. Lebensjahr können an der Geburt eines neuen Bewusstseins, eines neuen Menschen mitwirken. Ihre Weisheit, ihr Wissen um den Prozess der Geburt und die Sorge für ein Neugeborenes machen sie, gemeinsam mit den Männern, zu Mitschöpferinnen unserer evolutionären Zukunft.

Mit Konferenzen, Workshops und Online-Kursen verbreitet Barbara ihre Botschaft von der bewussten Evolution unermüdlich unter möglichst vielen Menschen. »Die neue Geschichte der Evolution ist unsere Geschichte, ist – aus der Sicht der Evolution – unser aller Geschichte. Als evolvierender Mensch bist du Teil dieser Geschichte. Du wirst von dieser Geschichte geschaffen, jede ­Zelle deines Körpers wurde von dieser Geschichte geschaffen. Diese Geschichte zielt auf höhere Bewusstheit und größere Freiheit. Von daher bist du eins mit dem Prozess.« Als Teil dieser Geschichte der Evolution kann jede und jeder von uns seinen oder ihren Sinn darin finden, Mitgestalter der Evolution zu werden.

Der Leitimpuls ihres ganzen langen Lebens war die Frage aus ihrer Jugend: »Wie können unsere neuen Fähigkeiten auf heilsame Weise eingesetzt werden?« In gewisser Weise bringt ihr Leben zum Ausdruck, dass die neuen technischen Energien, die die Menschheit entdeckt, mit der Entwicklung der neuen Energien eines evolutionären Bewusstseins integriert werden müssen, um gemeinsam eine Zukunft zu erschaffen, die auf Ganzheit, Verbundenheit und Ko-Kreativität beruht. 

Author:
Mike Kauschke
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