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Aus ihren Erfahrungen im Tanz engagiert sich Heike Pourian in der Begleitung regenerativer Projekte und junger Aktivisten. Vor diesem Hintergrund blickt sie in die radikale Tiefendynamik auf dem Weg zu regernativen Kulturen.
evolve: Du kommst ursprünglich aus dem Tanz, der Contact Improvisation. Ergibt sich daraus für dich ein besonderer Zugang zu dem, was regenerative Kulturen sein können und wie wir sie gestalten können?
Heike Pourian: Ja. Ich erlebe, wie sich mein Körper anfühlt, wenn ich ihn nicht übernutze, nicht überanstrenge, sondern ihm lausche. Zum Glück war ich noch recht jung, 19, als ich zur Contact Improvisation kam. Mir begegnete hier eine Grundhaltung dem Leben gegenüber, nach der ich mich – ohne mir dessen bewusst zu sein – gesehnt hatte und die mir noch nirgends begegnet war. Ich lernte, Bewegung zu generieren, indem ich die Kräfte, die im und auf den Körper wirken, nutze, statt gegen sie anzukämpfen. Ganz besonders gilt das in Bezug auf die Schwerkraft. Das Ballett versucht mit enormer Anstrengung ein Bild von Leichtigkeit zu erzeugen, als solle die Schwerkraft überwunden, ja geleugnet werden. In der Kontaktimprovisation nehme ich wahr, wie ich von der Erde angezogen werde. Dieser Kraft vertraue ich mich an, gehe zu Boden und erlebe dort wieder Unterstützung, Auftrieb. Ich surfe diese Kräfte. Ähnlich verhält es sich mit dem Kontaktpunkt, dem Berührungspunkt mit meiner Partnerin oder meinem Partner: Er ist Dreh- und Angelpunkt, Energie spendendes Moment.
Ein nährendes Miteinander
e: Wie nimmst du diese Erfahrungen auf, wenn du über regenerative Kulturen in einem größeren Kontext nachdenkst oder regenerative Projekte unterstützt?
HP: Ich versuche, es auf alles anzuwenden, was mir begegnet. Ich weiß, dass es möglich ist, flüssig zwischen Anspannung und Entspannung hin und her zu pendeln. Mein Nervensystem kennt dieses wache, nährende Miteinander von Sympatikus und Parasympatikus, dieses Sowohl-als-auch. Unser Alltag hingegen basiert eher auf einem Entweder-oder: Wir halten über lange Zeit einen hohen Stresspegel und kollabieren dann. Nach einem langen Arbeitstag geht für viele nur noch Couchpotato. Im Tanz erlebe ich, dass wir mit sehr viel Dynamik und enormen Kräften umgehen können, ohne zu verhärten oder zu verkrampfen – weil wir es eher geschehen lassen als herstellen. Wir erkennen an, was bereits da ist und gestalten es. Das ist eigentlich auf alles übertragbar:
Warum produzieren wir unsere Lebensmittel mit so enormem Energieaufwand und mit schweren, bodenverdichtenden Maschinen? Warum pflügen wir den Boden, greifen in einen an sich intelligenten Organismus ein, machen ihn nackt, setzen ihn der Erosion aus? Warum stecken wir einjährige Pflänzchen hinein, die wir mit unglaublich viel Aufwand hätscheln und gegen sogenannte Schädlinge verteidigen? Warum ist im Herbst der Anblick leerer Felder für uns normal? Viel sinnvoller und regenerativer wäre es, wenn der Boden durch die Wurzeln mehrjähriger Kulturen gestärkt und belebt würde. Wir könnten lernen, wieder zu hüten, zu pflegen und zu ernten, anstatt zu ackern. Und natürlich müssen solche Gärten, solche Landschaften erst geschaffen werden. Ansätze wie Agroforst und Permakultur erforschen diesen Weg.
¬ WIR KÖNNTEN LERNEN, WIEDER ZU HÜTEN, ZU PFLEGEN UND ZU ERNTEN, ANSTATT ZU ACKERN. ¬
Es macht mich froh, wie viele solcher Projekte gerade entstehen. Und zugleich erfüllt es mich mit Entsetzen zu sehen, wie schwer sie es haben, wenn sie anschlussfähig sein müssen an ein ausbeuterisches Wirtschaftssystem. Diese Menschen betreiben Humusaufbau, sie tun etwas Lebensdienliches, aber die Prinzipien unseres Wirtschaftssystems geben vor, dass sie schnell Profit erwirtschaften müssen. Das ist absurd. Wer Geld übrig hat: Hier kann es gut hinfließen. Damit Menschen Bäume pflanzen können, die unseren geschundenen Böden Halt und Leben geben. Und damit die Menschen sich dabei nicht verausgaben müssen. Regeneration von Boden und Mensch kann nur Hand in Hand gehen.
e: Was brauchen wir, damit Regeneration nicht nur ein neues Label bzw. vom bestehenden kapitalistischen System vereinnahmt wird?
HP: Radikalität. Zur Wurzel kommen. Anerkennen, wo unsere Geschichte ganz grundlegend nicht mehr funktioniert. Charles Eisenstein beschreibt Wandel von der Geschichte der Getrenntheit hin zum Interbeing. Interbeing ist das Anerkennen der Tatsache, dass kein Leben ohne anderes Leben leben kann. Die Geschichte der Getrenntheit ist ein Narrativ, während Interbeing ein Lebensgesetz ist. Wir bewegen uns also gerade von einer Hilfskonstruktion in ein Anerkennen der Gesetzmäßigkeiten des Lebens. Dabei gibt es einen Raum zwischen den Geschichten, in dem wir Orientierungslosigkeit erleben, weil das Alte nicht mehr funktioniert, das Neue aber noch nicht fassbar ist. Wir merken, wie sehr uns das Alte konditioniert hat. Das, was ich überwinden will, hat mich so geprägt, dass ich mich eigentlich nur schwer davon unterscheiden kann. Hier ist ein herausfordernder Prozess des Verlernens nötig, um zu begreifen, welche Überzeugungen noch die Prägung dieser Geschichte der Getrenntheit in sich tragen.
Das ist die Stelle, wo es für die Menschen, die im Bewusstseinswandel unterwegs sind, ungemütlich werden muss, weil wir uns nicht auf unser Meditationskissen zurückziehen können. Wir müssen anerkennen, dass wir uns als Menschheit eine falsche, ausbeuterische Geschichte erzählen, um Sicherheit durch Kontrolle herzustellen. Wenn wir die Kontrolle loslassen, dann gehen wir in Richtung des Regenerativen. Da wird es erst mal ungemütlich, weil wir mit unserer Angst konfrontiert werden. Wir fühlen uns nackt. Wir sind es so gewohnt, die Muskeln anzuspannen, dass uns das Verkrampfen sicherer vorkommt, als uns der Schwerkraft hinzugeben. Es gibt diesen Spruch: »Don't tell me to relax, it's only tension that holds me together«. Wenn ich mich durch meinen Stress definiere und jemand sagt mir »Entspann dich«, dann denke ich ja, dass ich sterbe, wenn ich loslasse.
Die Intelligenz des Lebens
e: Das bedeutet auch, wir finden als Menschen ein Vertrauen in etwas anderes als unsere Möglichkeiten, die Welt zu kontrollieren.
HP: Ja, wir versuchen momentan, unsere Welt sicher und vermeintlich gerecht zu machen, indem wir durch menschengemachte Gesetze Ordnung ins Chaos bringen. Und wir kommen kaum noch hinterher, weil die Welt sich so rapide verändert, dass wir gar nicht so schnell neue Gesetze schaffen können. Statt immer weiter zu hecheln, um bloß die Kontrolle nicht zu verlieren, könnten wir uns in die Gesetzmäßigkeiten des Lebens hinein entspannen, die allem Lebendigen innewohnen.
Dafür bedarf es der Demut. Wir können uns aus unserem Größenwahn und unserer Hybris, alles kontrollieren zu wollen, in unsere Begrenztheit hinein entspannen - und gleichzeitig in unser Aufgehobensein in einer Lebensintelligenz, die so viel weiser ist als unser kleines Menschenhirn. Diese Intelligenz des Lebens können wir nicht kontrollieren. Wir können uns dafür empfänglich machen.
e: Mit der Radikalität scheinst du auch dieses »Empfänglich-Machen« anzusprechen. Wenn wir in der eigenen Existenz zur Wurzel gehen, geht es ja auch darum, mit dem eigenen Handeln dafür einzustehen.
HP: Wenn ich mich selber beobachte, dann überkommt mich ganz schnell eine Ohnmacht angesichts dieser großen Diskrepanz zwischen dem, was ich für lebensförderlich und regenerativ halte, und dem, was ich in der Welt vorfinde. In unserer Kultur kennen wir fast nur zwei Reaktionen: entweder ich resigniere oder ich gehe in einen krassen Aktivismus.
Ich sehe, dass viele junge, hochmotivierte Menschen sich verausgaben und verzweifeln – insbesondere, wenn sie sich in Aktionen des konfrontativen Aktivismus engagieren. Damit möchte ich nicht gegen die Notwendigkeit von Wut-Kraft sprechen. Ich glaube trotzdem, dass es sinnvoll ist, ganz genau zu schauen, an welcher Stelle es wirklich so viel Anspannung braucht und an welcher Stelle wir nur glauben, dass es nur mit Kraftanstrengung geht, weil wir eben so konditioniert sind. Kann ich vielleicht auch den Gedanken zulassen, dass Menschen, die ausbeuterische Entscheidungen fällen, aus einer Hilflosigkeit und nicht aus einer Boshaftigkeit handeln? Ist es möglich, mit dieser Grundhaltung in den Kontakt zu gehen: »Wir wollen alle leben und wir stellen uns alle ziemlich blöd an bei diesem Versuch, ein lebenswertes Leben hinzubekommen.«
Wir dürfen heute lernen, dass ein Nein zu etwas Bestehendem uns nicht in die Verhärtung bringen muss. Konkret heißt das: im Dialog sein.
Wie ist es, wenn ich nicht mit der Vermutung in einen Dialog gehe, dass mein Gegenüber ein Idiot ist, weil er solche Entscheidungen fällt, sondern mit der Neugier, ob ich etwas erfahre, was ich noch nicht wusste und was meine Perspektive erweitert. Und das ist für mich hochgradig regenerativ, weil sich auch in mir etwas entspannt, weil ich nicht mehr aufpassen muss, wo ich ein Argument erwische, das ich dann gut widerlegen kann, sondern weil ich in Beziehung gehe. Und ich glaube, Regenerativität hat sehr viel mit Beziehung zu tun.
Die Kraft des Zuhörens
e: Eine regenerative Kultur zeigt sich also auch im zwischenmenschlichen Raum. Es geht nicht nur um den Umgang mit dem Lebendigen, sondern auch um die Frage, was eigentlich eine regenerative Gesprächskultur ist. Was ist für eine solche Gesprächskultur erforderlich?
HP: Ich erlebe es so: Alles Lebendige braucht Resonanz. Leben kann sich dann entfalten, wenn es spürt, es gibt Resonanz für mein Sein. Das betrifft menschliches und mehr-als-menschliches Leben, es betrifft das Leben an sich. Zuhören bedeutet für mich vor allem: Resonanzraum sein. Durch die Art und Weise, wie ich dir ein Gefäß für dein Sein zur Verfügung stelle, kannst du dich abbilden und dich selber wahrnehmen. Je entspannter ich bin, desto weiter kann mein Resonanzraum sein, desto mehr Platz ist da für dich, auch wenn du sehr anders bist als ich. So wird ein unangestrengtes Einander-Bezeugen möglich, in dem wir uns voneinander inspirieren lassen.
e: In solch einem Dialog bedeutet das Regenerative auch, dass mehr Lebendigkeit oder schöpferische Kraft in die Beziehung kommt. Sei es jetzt im Miteinander, sei es mit der Natur, mit dem Boden oder mit dem Wald oder was auch immer. Regeneration ist also nicht nur eine äußere systemische Methode, sondern lädt die Lebendigkeit ein. Das ist wahrscheinlich auch eine Erfahrung, die im Tanz sehr stark ist. Wie erlebst du diesen Aspekt von regenerativer Kultur, dass sie schöpferisches Leben verstärkt?
¬ REGENERATIVITÄT HAT SEHR VIEL MIT BEZIEHUNG ZU TUN. ¬
HP: Ja, indem ich innehalte, horche und den Raum größer werden lasse, mache ich Platz dafür, dass die ganze Gestaltungskraft auftauchen kann – deine und meine und die des Lebens an sich, die durch uns hindurchfließen will. Wenn ich dir offen und auf eine regenerative Weise zuhöre, dann bilde ich ein Gefäß, in dem ich dich abbilden kann. Das heißt aber nicht, dass ich mit allem übereinstimme, was du sagst. Offenheit ist nicht gleichbedeutend mit Beliebigkeit. Ich stelle meinen Seins-Raum, meinen Herz-Raum zur Verfügung, der ein bisschen anders ist als deiner. Deswegen kommt ein anderes Echo zurück, das dir eine neue Information über dein Sosein gibt. Das ist mein Verständnis von Joseph Beuys' sozialer Plastik: ein Prozess, durch den Geist in die Materie kommt. Wenn dein So-Sein auf mein So-Sein trifft und sich dadurch das Leben in dieser ganz besonderen Schattierung zeigt, kann etwas Neues generiert werden. Nicht in meinem Hirn oder in einer Idee, sondern in dem Begegnungsraum zwischen Menschen oder zwischen Mensch und der mehr-als-menschlichen-Welt.
Verzweiflung als Wegweiser
e: Du arbeitest auch mit jungen Menschen. Was ist dir dabei ein besonderes Anliegen?
HP: In der Begleitung junger Erwachsener begreife ich es als meine Hauptaufgabe, ihre Verzweiflung abzubilden. Ich arbeite sehr viel mit jungen Menschen, die etwas verändern wollen und nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Ich sehe eine junge Generation heranwachsen, die eine Tatkraft, ein Selbstbewusstsein und eine Kompetenz mitbringt, die wir in dem Alter nicht hatten. Dann könnte ich sagen, »Okay, ich trete zurück, ihr könnt das eh viel besser als ich«. Ich könnte auch vor Scham erröten, dass ich das mit Mitte 20 noch nicht konnte. Oder ich kann fragen, was hier meine Aufgabe als Älteste ist. Und da merke ich ganz deutlich, wir brauchen Menschen aus unserer Generation, die jungen Menschen ein Gefäß für ihre Verzweiflung anbieten können. Wenn ich diese Verzweiflung in mir abbilde, dann fühlen sie sich nicht mehr falsch mit ihrer Verzweiflung. Dadurch kommen sie an ihre Manifestationskraft und müssen nicht noch tiefer in die Verzweiflung rutschen. Denn wenn wir Verzweiflung spüren können, dann spüren wir unsere Liebe zum Leben. Sonst würden wir nicht verzweifeln an dieser lebensfeindlichen Kultur. Diese Erkenntnis gilt es zu hüten und in diesen Verzweiflungsraum zu tragen als Wegweiser: Deine Verzweiflung ist ein Wegweiser und keine Sackgasse.
¬ ALLES LEBENDIGE BRAUCHT RESONANZ. ¬
Author:
Mike Kauschke
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