Aus Fehlern lernen

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Essay
Publiziert am:

October 19, 2016

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Ausgabe 12 / 2016:
|
October 2016
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Aus Fehlern lernen! Das ist leichter gesagt als getan, denn einen Fehler zu machen oder das Gefühl zu haben, gescheitert zu sein, nagt erheblich am Selbstwertgefühl. Doch wann sind wir gescheitert? Gibt es dafür einen objektiv messbaren Maßstab? Auf den ersten Blick neigen wir dazu zu sagen: Man kann das Gescheitert-Sein klar erkennen. Immer dann, wenn die eigenen oder die an einen gestellten Erwartungen nicht erfüllt wurden, ist jemand oder etwas gescheitert. Dennoch erleben und bewerten Menschen das Scheitern nicht gleich. Das hat u. a. mit der Kultur zu tun, in der wir leben. Je mehr man daran glaubt, dass der Einzelne selbst für sein Schicksal verantwortlich ist und je stärker in einer Kultur Normen und Sanktionen ausgeprägt sind, desto mehr versucht man, Fehler zu vermeiden. Passieren sie, werden sie bestraft. Wir leben in einem Land, das einen hohen Perfektionismusanspruch hat, aber leider eine äußerst geringe Fehlertoleranz.

Interessanterweise ist das Ideal der Perfektion ein sehr künstliches, es ist eine menschliche Idee. Die Natur folgt deutlich stärker dem »trial and error«-Prinzip (Versuch und Irrtum). Viele Mutationen in der Natur treten durch Zufall auf. Manche dieser spontanen und außerplanmäßigen Veränderungen sind positive Weiterentwicklungen des Alten. Wenn wir davon ausgehen, dass sich immer alles zielgerichtet zum Besseren hin entwickelt, dann ist das eine menschliche Projektion auf die Natur, die wir dann auf uns selbst anwenden. Wir erliegen einem illusionären Perfektionszirkel: Wir müssen uns zur Perfektion hin entwickeln, weil wir glauben, dass sich in der Natur alles zur Perfektion hin entwickelt, was in Wirklichkeit aber so nicht der Fall ist. Wer sich von dem Gedanken verabschiedet, immer und überall käme es auf Perfektion an, weil diese ein Naturgesetz sei, was sie ja nicht ist, lebt nicht nur deutlich entspannter, sondern er kann auch besser mit Fehlern umgehen. Fehler sind nämlich ein ganz integraler Bestandteil jeder Form von Entwicklung. Nicht jede Entwicklung findet automatisch einen guten Abschluss. Doch damit ist auf Dauer eben noch nichts verloren. Entscheidend ist, wie wir mit Fehlern umgehen.

¬ Fehler sind ein ganz integraler Bestandteil jeder Form von Entwicklung. ¬

Definiere ich mich oder andere ausschließlich über den Erfolg? Bin ich überzeugt, nur dann geliebt zu werden, wenn ich erfolgreich bin? Ist ein Fehler eine unverzeihbare Schwäche, die nicht sein darf? Solange solche Verknüpfungen in uns aktiv sind, wird der Misserfolg eben nicht nur als solcher gesehen, sondern das Scheitern stellt mich in meinem ganzen Menschsein infrage.

Persönliche Überzeugungen und Werte sind ein wesentlicher Schlüssel zum Umgang mit dem Misserfolg. Dies zeigt sich, wenn wir Menschen anschauen, die nach großen Niederlagen nicht aufgeben, sondern weitermachen. Was ist ihr Erfolgsrezept? Sie verweilen gedanklich nicht so lange beim Scheitern wie andere Menschen, und es gelingt ihnen besser, dem Misserfolg einen Sinn zu verleihen. Wer überzeugt ist, dass ein Fehler ihn etwas gelehrt hat, kann diesen Fehler besser annehmen. Die Interpretation eines Ereignisses ist somit der Schlüssel zum guten Umgang mit dem eigenen Misserfolg. Philosophisch gesprochen ist hier die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel gefragt. Normalerweise haben wir immer nur einen Aspekt eines Ereignisses im Blick und halten diesen für das Gesamte. In dem Moment, in dem wir uns bewusst sind, dass es mehrere Perspektiven gibt, ermöglicht uns diese Einsicht auch, einen »Fehler« anders zu betrachten und aus ihm zu lernen.

Author:
Dr. Katharina Ceming
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