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Nach einem Wirtschaftsstudium, der Arbeit in einem Großkonzern und der Mitbegründung kreativer Projekte erfuhr Anne Kliebisch von der Idee einer Hochschule, in der Ökonomie mit Philosophie und anderen Disziplinen in einen fruchtbaren Dialog kommen soll: die Cusanus Hochschule in Gründung in Bernkastel-Kues. Wir sprachen mit ihr über ihre Erfahrungen im Studiengang „Ökonomie- und Gesellschaftsgestaltung“. Bis zur Gründung erfolgt ihr Studium an der Kuser Akademie und wird später in einen Master überführt.
evolve: Was hat dich bewogen, an dem ersten Studiengang für „Ökonomie- und Gesellschaftsgestaltung“ an der Kuser Akademie teilzunehmen?
Anne Kliebisch: Ich begann meinen Bachelor der Wirtschaftswissenschaften, weil ich dachte, dass ich dort einen Hebel habe, um etwas in der Welt zu bewegen. Viele Lebensbereiche lassen sich von der Wirtschaft beeinflussen. Unsere sozialen Netzwerke verändern Richtlinien nicht hin zu mehr „sozialem“, sondern zu wirtschaftlichem Wachstum. Alles wird dem wirtschaftlichen, logischen und berechenbaren Diktat unterworfen. Ähnliche Erfahrungen habe ich gemacht, während ich drei Jahre in einem Großkonzern arbeitete. Ich war u. a. in einer Abteilung, in der es um die strategische Betreuung von Forschungsprojekten ging. Dort lernte ich viel über Wissenschaft und Wirtschaft, aber Fragen, wie unsere Produkte dem Wohl der Welt dienen, konnten in diesem Kontext kaum gestellt werden. Und was mir noch gefehlt hat, war der Aspekt der menschlichen Entwicklung, der in der Marktlogik eines Konzerns kaum Platz hat. Ich kann mich professionalisieren, aber als Mensch integer zu wachsen, ist nicht Teil des Unternehmenszwecks. Deshalb habe ich begonnen, mich ehrenamtlich zu engagieren, zunächst in dem Bildungsprojekt Ideen³ und dann als Mitbegründerin von Leadership³, einem Netzwerk für junge Führungskräfte. Daneben gründete ich mit einer Freundin den Verein „Cool Ideas Society Deutschland“, in dem wir Menschen in ihr kreatives Potenzial bringen. Als ich dann Prof. Silja Graupe bei einem Workshop an der Alanus Hochschule kennenlernte und von der geplanten Gründung der Cusanus Hochschule erfuhr, war ich fasziniert von dem interdisziplinären Ansatz und hatte den Eindruck, dass ich hier einen umfassenden Blick auf die Wirtschaft finde.
e: Wie sieht dieser interdisziplinäre Ansatz aus?
AK: Wir betrachten wirtschaftliche Ideen und Entwicklungen im Kontext der philosophischen Hintergründe, der Zeit, in der sie entstanden sind, und der parallelen Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst. Wir untersuchen, welcher Mensch hinter welcher geistigen Strömung in der Wirtschaftswissenschaft steckt. Von wem war er inspiriert? Wir sehen uns an, in welchem gesellschaftlichen Kontext dieser Mensch lebte. Aus welchen Einflussfaktoren hat sich eine neue Form des Wirtschaftens entwickelt? Wie hat sie sich verbreitet? An welcher Grundposition setzt zum Beispiel unsere neo-liberale Wirtschaft an? Welche Aspekte sind eine Weiterentwicklung und welche muss man auch kritisch betrachten? Ein anderer Aspekt ist der Bezug auf das eigene Menschsein. Welches Menschenbild steht hinter einer bestimmten Weise des Wirtschaftens? Dabei gibt es eine Art Grundmuster des Lernens, in dem wir ein Thema immer wieder aus neuen Blickwinkeln betrachten. Wir haben es „spirakular“ genannt, also wie in einer Spirale kommen wir auf verschiedener Tiefe immer wieder an die gleichen Themen. Und bei allen Inhalten wird gefragt, „Was hat dieses Thema mit Ihnen zu tun?“ Wir sprechen viel darüber, wie die Lerninhalte uns auch persönlich verändern. Die eigene Biografie und die eigene Entwicklung sind dabei ein wichtiger Teil der Reflexion über die Inhalte.
e: Was hat sich für dich durch diese Form des Lernens verändert?
AK: Ich habe gemerkt, wie viele ökonomische Grundannahmen ich unreflektiert in mir trage. Das reibt sich immer wieder an dem, was wir lernen und wird auch durch meine Kommilitonen aufgefangen, indem wir abends immer noch zusammensitzen und die Lernthemen weiter reflektieren. Es ist ein sehr starkes Gemeinschaftsgefüge unter uns Studierenden, das es uns überhaupt ermöglicht, in ein Thema so tief einzusteigen und sich auch verändern zu lassen, weil es mehrere Hände gibt, die das mittragen. Es ist ein gemeinschaftliches Streben nach Erkenntnis, Erfahrung und dem gemeinsamen Weiterkommen.
e: An der Cusanus Hochschule gibt es auch eine Offenheit für spirituelle Themen. Wie zeigt sich das in eurem Studium?
AK: Alle Studenten durchlaufen ein geisteswissenschaftliches Grundlagenstudium „Studia Humanitatis“, in dem wir uns auch Autoren der Antike und der Mystik zugewendet haben. Wir als Studenten haben diese spirituelle Dimension auch sehr stark eingefordert und die Dozenten sind offen dafür. Diese Dimension wird auch durch den Namensgeber Nikolaus von Kues angesprochen, der ja selbst ein bekannter Philosoph und Mystiker war. Er vertrat die Auffassung, dass Gott nicht nur im nächsten Leben oder irgendwo im Himmel ist, sondern dass in jedem Einzelnen von uns ein göttlicher Funke lebt. Man kann diesen göttlichen Funken auch als Intelligenz oder Seele bezeichnen, aber es deutet immer auf eine Person hin, die diesen Funken zum Ausdruck bringt. Und darin war Cusanus ein moderner Denker, dem es auch darum ging, dass wir die Möglichkeit haben, unsere eigene Biografie zu gestalten. Wir bezeichnen es hier als „Biografie-Souveränität“. Aber Nikolaus von Kues war nicht nur katholischer Geistlicher und Mystiker, sondern auch Wissenschaftler, Philosoph und Ökonom; er war auch ökonomischer Leiter des Bistums. Deshalb kann man schon sagen, dass die Cusanus Hochschule i. Gr. in seiner Tradition steht.
e: Welche nächsten Schritte stehen jetzt für die Hochschule an?
AK: Die Hochschule hat die staatliche Akkreditierung beantragt, aber auf das Ergebnis warten wir noch. Wir waren der erste Jahrgang und hatten damit noch den Luxus von neun Studierenden und acht Professoren, die bei uns im Laufe der zwei Jahre unterrichten. Wir haben einen Studierenden-Verein gegründet, um uns unter Studenten gegenseitig geistig und finanziell zu unterstützen. Dafür suchen wir momentan Förder für Stipendien. Als private Hochschule bekommen wir keine öffentlichen Gelder. In der Bildungslandschaft gibt es offiziell nur zwei Kategorien und da wir nicht in die Kategorie „staatlich“ fallen, sind wir per Ausschluss privat. Wir sehen uns allerdings eher als „Commons-Hochschule“, also eine gemeinnützige Organisation, eine Hochschule aus der Gesellschaft für die Gesellschaft. Wirtschaftliche Fragen bestimmen unser Zusammenleben als Gesellschaft und sollten deshalb auch in einem offenen interdisziplinären Dialog angegangen werden. Dafür braucht es geschützte Räume in denen eine persönliche Bildungserfahrung gemacht werden kann. Dafür steht die Cusanus Hochschule i. Gr. für mich.
Author:
Mike Kauschke
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