Das Herz ist das Heim

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

November 7, 2019

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Ausgabe 24 / 2019:
|
November 2019
Offene Heimat
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Leben als Gebet

Whaea Moetu-Taiha stammt aus der indigenen Tradition der Maori Neuseelands, verbringt aber auch viel Zeit in Deutschland. Wir wollten von ihr wissen, welches Empfinden und Verständnis von Heimat sie aus ihrer Herkunft aufgenommen hat und wie sie dies in ihrer Arbeit mit Menschen im Westen inspiriert.

evolve: Wo bist du zuhause? Was ist ein Zuhause für dich?

Whaea Moetu-Taiha: Mein Zuhause ist mein Selbst. Die Verbindung zu meinem Land oder meinem Heimatland ist in mir. Wohin ich auch gehe, ist meine Verbindung zu meinem Land, meinem Berg, meinem Fluss lebendig. Was ich bin, ist mein Land, meine Heimat. Wenn ich mich vorstelle, sage ich, mein Berg ist der Maungapohatu, mein Fluss ist der Tauranga und mein Zuhause ist Ngai Tuhoe, das ist mein Stamm, das sind meine Leute. In unserem Verständnis ist mein Berg mein Rückgrat, so trage ich meinen Berg mit mir. Mein Fluss ist mein Blut, das durch mich fließt. Meine Ahnen, mein Stamm der Tuhoe und Kahungunu, und mein Körper sind mein Land. Wenn ich mich einsam fühle, verbinde ich mich wieder mit mir selbst, mit meinen Ahnen.

e: Du lebst jetzt meistens in Deutschland, bist also weit weg von deinem Land. Vermisst du deinen Berg, deinen Fluss und dein Land?

WMT: Vor langer Zeit einmal, als ich viel reiste, fühlte ich mich sehr traurig und hatte Heimweh. Ich rief meine Cousine an und sie sagte: »Leg dich einfach mit dem Bauch auf die Erde.« Dann fragte sie: »Was fühlst du?« Ich sagte: »Mutter Erde.« Sie fuhr fort: »Jetzt drehe dich um und lege dich auf den Rücken. Schau nach oben. Was siehst du?« Ich sagte: »Den Himmel, die Sonne, es sieht wunderschön aus.« Sie sagte: »Ja, das ist hier dieselbe Erde und derselbe Himmel. Wo du auch immer bist, es ist dieselbe Erde und derselbe Himmel. Du bist immer verbunden.« Ich fühlte mich niemals wieder einsam.

Das war sehr lehrreich für mich. Es war nicht wichtig, auf welchem Boden, in welchem Land ich war. Ich konnte einfach die Augen schließen und spüren, wie meine Füße den Boden berührten oder ich mich bis in die Sterne ausweitete. Es wurde einfacher. Wenn ich nach Hause reise, versuche ich immer, in einen meiner Flüsse zu steigen. Bei uns gibt es einen besonderen Fluss, der aus meinem Berg Maungapohatu entspringt. Wenn ich dorthin gehe, lasse ich den Fluss wissen, dass ich komme, ich lasse meinen Berg wissen, dass ich komme, sodass sie den Weg öffnen können. Wenn ich ins Wasser gehe, danke ich, und wenn ich langsam weiter hineingehe, stelle ich mich dem Wasser wieder vor, verbinde mich wieder mit meinem Fluss, dem Blut meines Landes. Wenn ich untertauche, fühle ich, dass wir eins werden – mein Blut ist sein Blut und sein Blut ist mein Blut. Das wäscht alle emotionalen Herausforderungen weg, durch die ich auf meiner Reise gegangen bin. Wasser ist etwas äußerst Kostbares für uns, es ist sehr heilig, weshalb wir viele Reinigungszeremonien und Gebete mit dem Wasser vollziehen.

e: Wie arbeitest du mit Frauen aus dem Westen, wenn du ihnen hilfst, ihr Zuhause zu finden?

WMT: Zunächst vermittle ich ihnen, dass sie nicht nur Körper und Verstand sind, um ihnen verständlich zu machen, dass sie spirituelle Wesen sind. Für sie ist das eine Herausforderung, weil den meisten Menschen beigebracht wurde, mehr zu denken als zu sein. Sogar ein einfaches Gebet für das Essen kann eine Herausforderung sein. In meiner Tradition verstehen wir, dass die Nahrung, die wir zu uns nehmen, nicht nur das Essen auf dem Tisch ist. Das Gespräch, das Teilen, das Lachen gehört auch dazu. Nahrung ist alles, was der Körper zu sich nimmt, nicht nur das, was wir in den Mund tun.

Wohin ich auch gehe, ist meine Verbindung zu meinem Land, meinem Berg, meinem Fluss lebendig.

Das wurde mir wirklich bewusst, als ich mit einigen Frauen, mit denen ich arbeitete, zu Mittag aß. Wir sprachen über die Gifte, die in der herkömmlichen Landwirtschaft benutzt werden, und darüber, wie schädlich sie sind, während wir Bionahrung aßen. Und ich sagte: »Entschuldigung, können wir damit aufhören? Merkt ihr, dass ihr über etwas sprecht, das ihr esst? Alles das, worüber ihr sprecht, wird auch verdaut. Ich möchte nicht mit euch essen, wenn ihr so sprecht.« Nahrung kann giftig sein, aber Sprechen selbst kann es auch sein.

Wenn ich mit Frauen arbeite, möchte ich, dass sie achtsamer füreinander werden und den Raum der anderen respektieren, denn der Körper ist heilig. Wenn wir uns nicht selbst respektieren, wie sollen wir dann andere respektieren? Wie kann man mit Mutter Erde verbunden sein, wenn man nicht mit sich selbst verbunden ist? Wir sind Mutter Erde und sie ist wir. Wenn jeder sich um sein eigenes kleines Ego kümmert, seinen eigenen persönlichen Raum, wäre das besser für Mutter Erde als alles andere. Wenn du über die Verbindung zu »Heim« sprichst: Das Herz ist das »Heim«, das Herz ist das Feuer deines Zuhauses.

e: Wir können diese Sensitivität entwickeln, denn du siehst uns nicht als isolierte menschliche Wesen, als vom Ganzen getrennte Individuen.

WMT: Meine Tante Doctor Rose Pere sagte immer: »Wir sind alle ein Volk.« Es spielt keine Rolle, ob du aus Afrika, Deutschland, Israel oder Neuseeland bist, wir sind ein Volk, wir sind alle eins. Energetisch sind wir eins, Gedanken und Angst trennen.

e: Woher kommen die Angst-Gedanken?

WMT: Die Angst kommt aus unserer Programmierung. Wenn wir aufwachsen, erzählen uns unsere Eltern etwas über die Welt und uns selbst. Dann gehen wir zur Schule und werden programmiert. Alles, was wir waren, als wir auf diese Erde kamen, wird uns wegprogrammiert. Wenn die Informationen, die uns gegeben wurden, infrage gestellt werden, bekommen wir Angst. Wir haben gelernt zu glauben, dass dies uns Sicherheit gibt, was in gewisser Hinsicht stimmt. Spiritualität oder mit unseren geliebten Wesen zusammen zu sein – so nenne ich die Wesen der geistigen Welt – ist sehr unsicher. Alles ist wirklich eine Frage von Vertrauen, manchmal macht es mich verrückt, und ich denke: »Oh Gott, ich habe keine Ahnung, wohin ich gehe. Ich habe keine Ahnung, was ich tun werde.« Aber ich vertraue einfach darauf, dass meine geliebten Wesen mich führen. Das hat mich durch mein ganzes Leben getragen. Das ist die Essenz meiner Geschichte.

e: Du gebrauchst das Wort »Geschichte«, um in kraftvoller Weise über deine Verbindung mit der Vergangenheit zu sprechen. Vergangenheit ist dann nicht etwas, das tot und vorbei ist, sondern als alles das, was anwesend ist, das von unseren Vorfahren kommt, aus der Geschichte der Erde.

WMT: Ja, ganz sicher, weil ich meine Vorfahren bin. Das habe ich schon immer tief verstanden. Meine Vergangenheit ist bei mir, ich bin meine Vergangenheit. Alles, was meine Vorfahren taten, nicht nur in diesem Leben, sondern auch in anderen Leben, war ich. Ich war der Täter und ich war das Opfer. Wie also kann ich der Richter über etwas oder jemand sein, das ich getan habe, getan haben könnte, hätte tun können in meiner Vergangenheit? Ungeachtet dessen, ob ich es physisch oder ob es einer meiner Vorfahren war.

e: Das öffnet das Verstehen von Heimat ungemein.

WMT: Ja, sicher. Für dieses Leben wählte ich, als Maori im Lande Tuhoe, Neuseeland, geboren zu werden. Dort wurde ich groß, aber dieser Planet ist meine Heimat. Ich verstehe das so, dass ich bloß eine von vielen, vielen Boten bin, die gewählt wurden, diese Arbeit zu tun. Jeder Mensch auf diesem Planeten ist ein Bote, wenn er etwas tut, was er liebt, das ihm Freude bereitet, was so viel Energie versprüht, so viel Liebe.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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