Dem Geheimnis auf der Spur

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Interview
Publiziert am:

April 23, 2015

Mit:
Rüdiger Sünner
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 06 / 2015:
|
April 2015
Wir-Räume
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Bilder für das Unsagbare

In seinen Dokumentarfilmen hat Rüdiger Sünner eine eigene Bildersprache gefunden, mit der er spirituelle Fragen im Kontext der Biografien herausragender Menschen beleuchtet. Wir sprachen mit dem Filmemacher und Autor über seine Arbeit.

evolve: Wie bist du zum Filmemachen gekommen?

Rüdiger Sünner: Zum Filmemachen kam ich, nachdem ein Freund und Bandkollege und ich ein Video („Rote Sterne“) zu einem unserer Songs entwickelt hatten. Das haben wir dann mit einem Kameramann umgesetzt, der zu mir sagte: „Bewirb dich an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, du hast ein Talent, in Bildern zu erzählen.“ Ich folgte seinem Rat, wurde aufgenommen und begann, Filme zu machen.

e: Wenn man sich deine Filme anschaut – von „Die Schwarze Sonne“ über die mythologischen Hintergründe des Nationalsozialismus, „Legende vom Nil“ über Paul Klee, „Tree of Life“ über Dag Hammarskjöld, „Geheimes Deutschland“ über die deutsche Romantik, „Nachtmeerfahrten“ über C. G. Jung, „Mystik und Widerstand“ über Dorothee Sölle, „Abenteuer Anthroposophie“ über die Wirkung Rudolf Steiners, „Das kreative Universum“ über Wissenschaft und Spiritualität und nun „Zeige deine Wunde“ über Joseph Beuys – scheinen sie alle um das Thema zu kreisen, wie Spiritualität in der Welt wirksam wird und welche Gefahren und Möglichkeiten damit einhergehen. Hattest du von Beginn an diesen Themenkreis im Auge oder ist es organisch von Projekt zu Projekt entstanden?

RS: Die Beschäftigung mit solchen Fragen ist erst entstanden. Ich hatte schon immer ein Faible für Mythologie, habe mehrere Jahre lang intensiv Zazen praktiziert und so war schon ein gewisser Boden bereitet. In meinem Film über Paul Klee „Legende vom Nil“ geht es beispielsweise um die ägyptischen Totenbücher, die Klee kannte. Es lag ein großer Reiz darin, deren enigmatische Bilder mit Aufnahmen aus Ägypten und den Klee‘schen Gemälden zu verbinden. Mythen sind ja, wenn man so will, die ersten Romane, Gedichte oder „Filme“ der Menschheit. Mir lag es daran, in Bildern Dinge zu erkunden, die so nicht in Begriffen gesagt werden können. Schwellen hin zum Unbewussten, Nicht-Rationalen zu erkunden, auch zu dem, was frühere Kulturen mit ihren Göttergeschichten auszudrücken versuchten. Nach und nach stieß ich dann auf spannende Persönlichkeiten, die spirituelle Erfahrungen in zeitgemäßer Form lebten. Diese Art von biografischem Film eignet sich sehr gut, bestimmte Fragestellungen weiter zu diskutieren und mit Hilfe der anderen eigene, z. T. noch unentdeckte Saiten zum Klingen zu bringen.

Spiritualität muss für mich offen sein wie die Kunst.

e: Was sind für dich die Merkmale einer zeitgemäßen Spiritualität?

RS: Sie muss für mich offen sein wie die Kunst. Es dürfen nur Angebote sein, keine festen „Wahrheiten“. Die Aussagen der Mythen und spirituellen Traditionen müssen gelesen werden wie Literatur: mehrdeutig, vielfältig auslegbar, um vor Dogmatismus und Fundamentalismus geschützt zu sein. Sie sollen uns anregen, etwas in Bewegung versetzen, innere Imaginationsräume auf eine sehr individuelle Art aufschließen.

e: Warum ist die Integration einer spirituellen Dimension für unsere Kultur heute wichtig?

RS: Weil es die Verfeinerung solcher Erfahrungsräume in einer von rationalen und kognitiven Wertmaßstäben dominierten Kultur bedeutet. Weil es uns hilft, deutlichere Sinne für das Unbewusste, unsere Träume oder subtilere Kräftezusammenhänge der Natur zu entwickeln. „Spiritualität“ ist zu einem Modewort geworden und man sollte es neu klären. Für mich knüpft es an das alte Wort „spiritus“ an, an ein früheres Verständnis von „Geist“, das weiter reicht als das der modernen Neurowissenschaften. Während diese glauben, dass geistige Prozesse nur in unserem Hirn stattfinden, sah man in älteren Zeiten unser Denken angeschlossen an unsichtbare Kräfte im Universum und in der Natur. Jeder erlebt das im Alltag, wenn er über Inspirationen, Einfälle und Eingebungen spricht. Etwas fällt in uns hinein, wir werden mit einer Idee beschenkt und wissen nicht, woher sie kommt. Manchmal ahnen wir, dass dies mehr ist als nur eine beliebige Neumischung von Vorhandenem. Wir haben sie miterzeugt, aber nicht ganz alleine, sind darüber entzückt, überrascht, dankbar – vielleicht, weil wir kurz in Kontakt mit etwas Größerem traten, das in uns hineinreicht. Beim Hören von Musik, beim Wandern in der Natur, bei der kreativen Geburt eines Filmes erlebe ich solche Momente. Es ist die immerwährende Konfrontation mit einem Geheimnis. Spirituell sein heißt für mich auch, offen für das Geheimnisvolle des Lebens zu bleiben.

e: Die intensive Beschäftigung mit den Themen und Menschen deiner Filme führt ja sicher auch in dir selbst zu immer wieder neuen Entwicklungsprozessen. Gibt es Filme oder einzelne Aspekte daraus, die dich in besonderem Maße geprägt haben? Was war für dich besonders bedeutsam?

RS: Etwa die mehrtägige Fahrt auf dem Nil während der Dreharbeiten zu meinem Film über Paul Klees Ägyptenreise. Ich verbrachte intensive Stunden, auch des Schweigens, in einer kleinen Feluke mit einem nubischen Fährmann. Was ich in dieser Stille und in dieser Landschaft erlebt habe, kann man kaum in Worte fassen. Ein Eintauchen in eine andere Zeitdimension, die vielleicht auch die Ruhe dieses und anderer Filme mit bestimmt haben. „Geheimes Deutschland“ brachte mir die spirituellen Schätze der eigenen Traditionen näher und ließ mich Goethe und Novalis noch mal neu sehen. Entscheidend dann die Begegnung mit Evolutionsbiologie und Astrophysik in „Das kreative Universum“. Kaum etwas hat meinen Begriff von Spiritualität so geschärft wie die Beschäftigung mit den modernen Naturwissenschaften, die auf sehr klare Weise täglich dem Numinosen begegnen, egal ob in der Tiefe einer Zelle oder in fernen Spiralgalaxien.

e: Wie „wirken“ deine Filme auf die Zuschauer? Als Filmemacher hast du sicherlich bei jedem neuen Thema eine Intention, die dich selbst durch das Projekt trägt. Vermittelt sich diese so, wie ursprünglich gedacht? Oder überraschen dich deine Zuschauer auch mit neuen Einsichten, die erst im Dialog zwischen Gezeigtem und Geschautem in diesem je besonderen, fast schon intimen Resonanzraum entstehen können?

RS: Zuschauer überraschen mich immer mit unverhofften Reaktionen, etwa bei öffentlichen Vorführungen meiner Filme. Da ist keine anonyme Zuschauerzahl wie im Fernsehen, sondern lebendige Menschen treten in den Dialog mit mir. Bei einer Veranstaltung erzählte mir eine ältere Frau, dass ihr Mann meinen Film „Tree of Life“ über Dag Hammarskjölds Lapplandwanderungen so gerne gemocht habe. Noch an seinem letzten Tag habe er die DVD wieder eingelegt – und sei in einem friedlichen Glücksgefühl während des Anschauens gestorben. Sie beschrieb mir sein Gesicht, seine letzten Regungen und Worte und sagte, sie hätte den Eindruck gehabt, mein Film habe ihn irgendwie gut über die Schwelle getragen. So etwas haut einen um. Ich musste die Tränen zurückhalten und war sehr dankbar, eine solche intime Reaktion auf meine Arbeit hören zu dürfen.

Author:
Mike Kauschke
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