Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
April 17, 2018
Immer wieder hören wir in den Nachrichten, dass Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, zum Islam und seiner radikalen Ausprägung, dem Salafismus, konvertieren. Der Dokumentarfilm »Bruder Jakob« zeigt solch einen Weg in eine fundamentalistische Religion von innen, aus nächster Nähe. Denn den Film hat Elí Roland Sachs gedreht, der mit der Kamera verstehen will, was seinen Bruder dazu brachte, solch einen Schritt zu gehen. Es ist auch der Versuch, die Verbindung nicht zu verlieren, wenn die Ansichten über das Leben so weit auseinandergehen. Ihm gelingt damit ein Film, der im besten Sinne Verstehen fördert und Fragen stellt. Der den einen Schritt auf den anderen zu macht, in der Hoffnung, dass über alle Hindernisse hinweg doch noch ein verbindendes Gespräch möglich sein könnte. Und es sind die stärksten Momente des Films, wenn solch ein Gespräch tatsächlich zustande kommt. Darüber hinaus folgt er behutsam der Wahrheitssuche eines jungen Menschen, dem die Antworten, die ihm sein Umfeld gibt, nicht mehr ausreichen.
Jakob ist 23 als er zum Salafismus konvertiert. Er lebt ein typisches Berliner Studentenleben in einer WG mit seinen Kumpels, kifft, feiert die Nächte durch und legt in Klubs auf. Auf einer Reise nach Afrika liest er zufällig im Koran und wird mitten ins Herz getroffen von der Erfahrung, dass Gott ihn direkt anspricht. In ihm bricht etwas auf, eine tiefe Suche, die zu einer ersten Heimat findet, als er in Berlin eine Moschee besucht. Der Film folgt diesem Weg mit Interviews mit Freunden, Familie, Glaubensbrüdern und einem Besuch in der Moschee. Einerseits wird spürbar, wie Jakob für sich einen inneren Halt gefunden hat, und wie er gleichzeitig sein Umfeld verstört, verunsichert und wütend macht. Vor allem auch, weil Jakob Freunden und Familienmitgliedern in E-Mails Höllenqualen androht, wenn sie nicht dem Islam folgen. Aus dieser Entfremdung heraus beginnt Jakobs Bruder seinen Film zu drehen, als den Versuch einer Annäherung.
In dieser ganz persönlichen Geschichte spiegeln sich gesellschaftliche Fragen über unseren Umgang mit Religion und spiritueller Sehnsucht.
In dieser ganz persönlichen Geschichte spiegeln sich größere, gesellschaftliche Fragen über unseren Umgang mit Religion und spiritueller Sehnsucht. Jakob sucht nach einem Halt im Leben und findet ihn zunächst in der Hinwendung zu dem einen »wahren Gott«, der Gemeinschaft der Gläubigen, den klaren Regeln und Feindbildern eines fundamentalen Islam. Und bei Jakob scheint es zunächst wirklich so zu sein, dass er aus den vielen Optionen, Unsicherheiten und offenen Fragen eines postmodernen Lebens den sicheren Hafen der Gewissheit findet. An seinem Beispiel wird nachvollziehbar, welche Anziehungskraft solche Religionen der Gewissheit auch heute noch – oder wieder – haben. Jakob weiß nun, was richtig und falsch ist, und lässt das seine Freunde und Familie spüren und nimmt dabei auch in Kauf, sich immer weiter von ihnen zu entfernen.
Aber schließlich wird deutlich, dass Jakob mehr sucht als die von außen gegebene Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein. Der Film begleitet diesen Wandel, bei dem man als Zuschauer zunehmend spürt, dass Jakob von innen her auf der Suche nach einer Begegnung mit dem Absoluten ist und einem Leben, das dieser Erkenntnis gerecht wird. Nach den Szenen, die eher das Äußere seines islamischen religiösen Lebens zeigen, vermittelt der Film nun auch die innerliche Gestimmtheit und Sehnsucht Jakobs – seine Zweifel, seine Bitten um göttliche Führung und seine Erfahrungen der Präsenz des Göttlichen. Dies alles aus einer Nähe und mit einer Einfühlungskraft, die wohl nur dem Blick eines liebenden Bruders gelingt.
In gewissem Sinne zeigt »Bruder Jakob« in der Entwicklung eines Menschen ein Spektrum der religiösen Erfahrung, vom fundamentalen Gauben an den einen wahren Gott zur Wahrheitssuche aus dem eigenen Herzen und dem damit verbundenen Hinterfragen von außen gegebener Gewissheiten. Eine Antwort auf die Frage, wie man mit Menschen umgehen kann, die sich für einen Weg in eine fundamentalistische Religion entscheiden, gibt der Film nicht. Aber er zeigt hautnah den manchmal verzweifelten, manchmal scheiternden und manchmal gelingenden Versuch, den Faden des Gesprächs nicht abreißen zu lassen.