Die Magie in der Mitte

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

April 23, 2015

Featuring:
Juanita Brown
William Isaacs
Carol Gilligan
Rumi
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Ausgabe 06 / 2015:
|
April 2015
Wir-Räume
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Jenseits der Trennung

In diesem „Trialog“ spricht Elizabeth Debold mit der World-Café-Gründerin Juanita Brown und dem Dialog-Begleiter William Isaacs über die Möglichkeiten und die Bedeutung des kreativen Raums zwischen uns.

Elizabeth Debold: Juanita und William, ihr arbeitet beide seit langer Zeit an neuen Formen des Zusammenkommens, um Lösungen für schwierige Probleme zu finden. In den letzten 20 Jahren habe ich mich mit kollektiver spiritueller Praxis beschäftigt, deren Anliegen es ist, ein „höheres Wir“ zu entwickeln. Mit euch möchte ich gern eure Erfahrungen eines neu entstehenden Wir und die neuen Möglichkeiten, die ihr darin wahrnehmt, untersuchen. In gewisser Weise könnten diese Potenziale der menschlichen Begegnung momentan eines der wichtigsten Ereignisse auf dem Planeten sein. Ich möchte mit einer Frage an dich, Juanita, beginnen: Was hat dich zur Gründung der World Cafés veranlasst und warum sind sie deiner Ansicht nach wichtig?

Juanita Brown: Die Entwicklungen in diesem Bereich der „Wir-Räume“ schaffen die Voraussetzungen für Kreativität und neues Denken. Das World Café ist eine dieser Methoden, die diese Form von Kreativität ermöglichen, aber es ist nur eine von vielen anderen Praktiken. Oft nutze ich folgende Metapher dafür: Ich bin in Mexiko aufgewachsen, im Haus meiner Großmutter. Sie lebte in einem alten, typisch mexikanischen Haus, wo es einen wunderschönen Innenhof gab mit einer Mitte, die ein Brunnen und große Blumentöpfe schmückten. Von allen Seiten gab es Bogengänge, wodurch man diese Mitte erreichen konnte. Für mich ist die Arbeit mit dem Kollektiven ähnlich: Es gibt viele Wege in diesen gemeinsamen Raum der menschlichen Erfahrung, den wir als bewussten Dialog, kollektive Intelligenz oder die Magie in der Mitte bezeichnen können. Wenn wir in diesem Garten in der Mitte sitzen, erleben wir etwas Besonderes: Die Grenzen zwischen Ich und Wir werden durchlässig. Beim World Café konzentrieren wir uns auf Fragen, die für die Teilnehmer wichtig sind und betrachten sie wechselseitig aus verschiedenen Perspektiven. So können wir ein lebendiges Netzwerk von Gesprächen schaffen, wenn wir zusammen „in die Mitte hineinhören“. Man weiß nicht genau, woher die Ideen kommen, weil sie scheinbar in diesem Garten in der Mitte entstehen.

Wir erfahren eine individuelle und kollektive Authentizität als gemeinsame Wirklichkeit.
Juanita Brown

William Isaacs: Das erinnert mich an den Ausspruch von Rumi: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Garten. Dort werde ich dir begegnen.“ Dieser Garten ist das gemeinsame Ganze. Ich habe herausgefunden, dass die interessanteste Herausforderung darin besteht, diese vollkommen präsente Wirklichkeit zu verstärken. In meiner Arbeit untersuche ich, wie wir zu Öffnungen, Eintrittspunkten und Ausdrucksformen für diese gemeinsame Präsenz werden können. Denn die Idee des Ganzen müssen wir holografisch denken. Jeder von uns ist ein Aspekt des Ganzen, ob wir es erkennen oder nicht. Wenn wir es erkennen, haben wir viel mehr Möglichkeiten, in der Welt zu wirken. Diese Fragen habe ich in den vergangenen Jahren in herausfordernden Kontexten untersucht, z. B. in Unternehmen, Leitungsteams großer Konzerne oder mit Politikern und Premierministern.

Mehr als Toleranz

ED: Warum denkt ihr, dass das Interesse an diesem Raum zwischen uns heute so stark ist?

WI: Es scheint, dass wir heute eine Sprache haben, die diese Phänomene zum Ausdruck bringen kann, und gleichzeitig ist auch die Sehnsucht danach groß. Aber das ist wohl noch nicht alles: Wir können heute eine integrative Bewegung beobachten. Aber es gibt natürlich auch eine trennende Bewegung, sehr viel in der Welt scheint heute auseinanderzufallen. Beides geschieht gleichzeitig. Man könnte auch sagen, dass beide Bewegungen miteinander verbunden sind.
Um es auf den Punkt zu bringen würde ich sagen, dass das Interesse an Dialogen heute so groß ist, weil sie notwendig und unvermeidbar sind. Auf allen Ebenen müssen wir mit den Folgen unseres Handelns umgehen, was unsere Situation unter Druck setzt. Manchmal nutze ich als Analogie ein Stück Seife: Wenn man es drückt, kann es nach oben oder unten wegrutschen. Diesen Druck spüren heute viele Menschen. Wir können es nicht vermeiden oder überspielen. Es gibt Versuche, diesen Druck zu umgehen, aber das wird nicht möglich sein.

ED: Wenn wir erkennen, dass diese Fähigkeiten für eine kreative Arbeit mit dem Wir zu einer Zeit auftauchen, wo es notwendig und unvermeidbar ist, spüre ich eine Art Ehrfurcht und großen Respekt. Für die meiste Zeit des Lebens auf unserem Planeten waren die Menschen nicht so nah beieinander und in globale Spannungen verstrickt, wobei jede Kultur mit den anderen konkurriert. Mit der Explosion der Weltbevölkerung werden wir gezwungen, auf ganz neue Weise mit Unterschieden umzugehen. Wir erkennen, dass es nicht reicht, wenn wir einander nur tolerieren oder einander nur zuhören. Das kann ein erster Schritt sein, aber wir können zusammen in einen weitaus kreativeren Prozess eintreten.

Allein die Tatsache, dass die Zahl der Menschen, die miteinander verbunden sind, zunimmt, bedeutet noch keine Zunahme der Weisheit oder Intelligenz.
William Isaacs

JB: Ja, und was irgendwo in der Welt geschieht, kommt ganz schnell in unser Wohnzimmer. Die Technologie gibt uns heute die Möglichkeit, fast sofort zu sehen, was in der Welt passiert. Das flößt mir Ehrfurcht ein, ich fühle eine große Sorge und auch Respekt. Wir haben aber nicht nur die technologischen Möglichkeiten, um uns zu zerstören, sondern können auch globale Gespräche initiieren, um die wichtigsten Fragen unseres Menschseins zu klären.

Die Substanz der Begegnung

ED: Was geschieht in diesen Gesprächen? Was geschieht in der Mitte, wenn sich Menschen so begegnen. Und welches Potenzial seht ihr hier?

WI: Was geschieht, hängt von der Qualität der Substanz oder dem Bewusstsein der Menschen ab. Auf körperlicher und emotionaler Ebene gibt es ein ganzes Spektrum des Bewusstseins. Heute erweitert sich dieses Spektrum und wir sehen eine Zunahme der Empathie. Aufgrund der sozialen Medien sehe ich, was auf dem Tahir-Platz oder an einem anderen konfliktreichen Ort geschieht. Das war früher nicht in dieser Weise möglich. Man könnte also sagen, dass es ein stärkeres Gefühl der Empathie gibt, aber allein die Tatsache, dass die Zahl der Menschen, die emotional miteinander verbunden sind, zunimmt, bedeutet noch keine Zunahme der Weisheit oder Intelligenz.
In dieser Arbeit mit dem Intersubjektiven geht es heute vor allem darum, herauszufinden, wie dieses bereits existierende Ganze überhaupt funktioniert. Wir haben diese außergewöhnliche Fähigkeit des Bewusstseins, wissen aber kaum, wie es eigentlich wirkt. Unser Bewusstsein ist ein kollektives, ganzheitliches System, aber wir sind so konditioniert, dass wir in Trennungen leben. Einander wahrzunehmen, scheint wie ein großer Schritt zu sein; aber das ist nur der Anfang. Etwas viel Subtileres kann in unserer Begegnung möglich sein und das hängt von der Qualität des Bewusstseins ab, die wir zwischen uns schaffen können. Deshalb ist es so wichtig für Gruppen, die Qualität des Bewusstseins, die sie in den Dialog bringen, zu verfeinern.

JB: Die Schaffung dieser kollektiven Substanz oder dieses intersubjektiven Bewusstseins ist sehr wichtig. Aber das führt zu einer weiteren Frage: Formt das Kollektiv das Individuum oder das Individuum das Kollektiv? Wodurch kann diese kollektive Substanz im Raum zwischen uns entstehen, „jenseits von richtig und falsch“? Welche Voraussetzungen können dazu führen, dass dieses Phänomen wahrscheinlicher wird, sodass es die Menschen nicht mehr nur anziehend und interessant finden, sondern dass es auch ihre tiefsten Hoffnungen berührt?
Diese intersubjektiven Erfahrungen haben etwas Archetypisches, mit dem wir uns unter den angemessenen Bedingungen verbinden können. Wie können diese Bedingungen zur Norm werden, sodass wir so zusammenleben und zusammenarbeiten können? Für mich ist das eine der großen kollektiven Lernaufgaben der heutigen Zeit.

ED: Viele von uns im Westen haben heute die Fähigkeit, uns aus diesen verschiedenen Ebenen des Seins zu begegnen – diesen unterschiedlichen Ebenen von Substanz, auf die du, William, hinweist. Der Grund ist vielleicht, dass wir an einen Punkt gekommen sind, wo wir einen Ausweg aus der Isolation des getrennten Selbstgefühls suchen. Das Interesse an Meditation und Spiritualität können wir als Versuch sehen, sich mit dem zu verbinden, was in unserer Geschichte durch Rationalität verdrängt wurde. Aber heute finden wir uns in unserer weit entwickelten Individualität von unserem persönlichen Drama zugleich fasziniert und gefangen.
In den Gesprächen, die wir beschreiben, weiß jeder, dass sie oder er etwas erfahren hat, das über alle bisherigen Erfahrungen der Begegnung hinausgeht. Jeder scheint zu spüren, wie wichtig es ist. Wie ihr schon gesagt habt, es zeigt sich eine tiefere Empathie und ein Erkennen unseres gemeinsamen Menschseins. Die Grenzen werden transparent, aber sie verschwinden nicht – wir sind weiterhin autonome Individuen.

Die Grenzen werden transparent, aber sie verschwinden nicht – wir sind weiterhin autonome Individuen.
Elizabeth Debold

WI: In solchen Dialogen entdecken wir uns selbst – die Realität unserer eigenen Identität. Schließlich können wir all unsere Erfahrungen nur im eigenen Bewusstsein machen. Wir bilden Theorien darüber, was andere erfahren, aber wir wissen es nicht wirklich. Wir sprechen über das Kollektive, aber wir kennen eigentlich nur unsere eigene Erfahrung. Wenn bestimmte Dinge aktiviert werden, erfahre ich sie als kollektiv. Bestimmte kollektive Räume werden aktiviert und sind sehr kraftvoll und herzöffnend. Aber was wird dabei aktiviert? Man könnte sagen: Was ich wirklich bin. Oft wollen wir dann wieder die kollektive Situation schaffen, die diese Erfahrung ermöglicht hat. Diese Unklarheit möchte ich ansprechen. Denn in diesen kollektiven Räumen berühren wir unser wahres Wesen, ungetrennt von allen anderen. Das bedeutet, dass es schon da ist und wir es nicht verlieren können. Die gute Nachricht ist, wir müssen nur herausfinden, wie wir Zugang dazu finden und es ausdrücken können.

Universelle Intimität

JB: Dabei entstehen viele verschiedene Qualitäten. Es zeigt sich eine wunderbare Essenz, die wir Liebe nennen können. Keine romantische Liebe, aber ein tiefes Gefühl der Freundschaft. In diesem Gefühl der Freundschaft spüren wir „Wir sind“, aber das bedeutet nicht, „Ich bin nicht“. Ich bin und wir sind. Die besten kollektiven Lernerfahrungen, wo immer sie auch auftreten – in einer sozialen Bewegung oder in einem Vorstandstreffen –, ermöglichen dieses Wechselspiel zwischen dem Individuellen und dem Kollektiven. Wir erfahren eine individuelle und kollektive Authentizität als gemeinsame Wirklichkeit. Dann finden wir Zugang zu dieser Ganzheit. Wir finden individuell Zugang zu den Erfahrungen der kollektiven Energie.

WI: Wie wir gleichzeitig einzigartiger wir selbst und mit anderen tiefer verbunden sein können, ist nur dann ein Paradox, wenn wir von der Annahme ausgehen, dass wir im Grunde getrennt sind. Aber wir erkennen in solchen Erfahrungen: Ich bin Teil des Ganzen. Wir entdecken die natürliche Erfahrung, Teil eines lebendigen Ganzen zu sein. Jeder Aspekt dieses Ganzen ist einzigartig. Auf jeder Ebene – mikroskopisch, makroskopisch, kosmisch – gibt es diese beeindruckende Verschiedenheit, die in Einem vereint ist. Das kann der Verstand nicht erfassen. Angesichts dessen ist es angemessen, Demut zu empfinden. Unsere intellektuellen Anstrengungen, es vollkommen zu verstehen, sind zum Scheitern verurteilt. Man kann es nicht vollkommen ergründen. Aber wir können es durch dieses Gefühl der Verbundenheit erfahren. Freundschaft ist ein schönes Wort dafür. Viele frühe christliche Gemeinden nannten es „Koinonia“.

Wenn wir in diesem Garten in der Mitte sitzen, erleben wir etwas Besonderes: Die Grenzen zwischen Ich und Wir werden durchlässig.
Juanita Brown

JB: Eine persönliche und überpersönliche Verbundenheit zugleich, eine spirituelle Intimität.

WI: Wir müssen nicht alle Einzelheiten der Geschichten der anderen kennen, aber es ist trotzdem zutiefst intim. Wir leben in einem intimen Kosmos.

ED: Es ist eine Intimität und Liebe, in der es nicht um die Geschichten der Einzelnen geht, obwohl wir darin auch unsere gemeinsame Geschichte als Menschen besser verstehen. In diesem Kontext können wir uns mit anderen unglaublich intim erfahren, aber gleichzeitig wissen wir vielleicht gar nicht, wer diese Menschen in einem gewöhnlichen persönlichen Sinne sind. Das zeigt, wie universell es ist, es geht um unser menschliches Bewusstsein. Es deutet auf das hin, was wir im Tiefsten sind.
Aber es geht nicht nur um ein Sein oder das Erfahren der Einheit. Die Erfahrung der Einheit entsteht oft, wenn Menschen zusammen meditieren und ein Feld der Stille und Tiefe schaffen. Aber im Dialog, in dem wir Sprache nutzen, wird etwas zwischen uns lebendig. Wir finden ein gemeinsames Bewusstsein für die Lebendigkeit des Lebens. Wir erfahren nicht nur Nicht-Getrenntsein, sondern eine lebendige Schöpfung, in der jeder von uns gebraucht wird.

JB: Diese Lebendigkeit zeigt sich, wenn Menschen an etwas arbeiten, das ihre größten Anstrengungen wert ist – was immer das sein mag. In dieser Magie der Mitte, wie sie sich auch im World Café zeigen kann, hören wir aufeinander, aber wir hören auf diese gemeinsame Quelle des Möglichen, die sich an den Vierertischen in der Intimität dieser Kleingruppen zeigt. Im Raum wird die Verbundenheit mit dem Ganzen insofern erlebt, dass die Menschen direkt erfahren, dass ihre Kleingruppen ein wichtiger Teil des Ganzen, der gesamten Gruppe, sind.

Jenseits der Begrenzungen

ED: Mich würde noch interessieren, was eurer Meinung nach dieser Möglichkeit im Wege stehen kann. Wir haben schon darüber gesprochen, dass anhängen an der eigenen Meinung oder eine mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für sich selbst als das Ganze zu übernehmen, einen begrenzenden Einfluss haben kann.

WI: Die bekannte Entwicklungspsychologin Carol Gilligan ist der Ansicht, dass das Feld der psychologischen Entwicklungsforschung völlig auf den Kopf gestellt werden müsste. Wir dachten bisher, wir müssten lernen, ganz zu werden und uns mit anderen zu verbinden. Aber jetzt erkennen wir, dass wir den Verlust dieser Fähigkeiten überwinden müssen – wir müssen sie nicht neu entdecken, sondern vielmehr wiedergewinnen. Es gibt viele Methoden, um uns an unsere ursprüngliche Ganzheit oder einzigartige Stimme zu erinnern. Was uns daran hindert, ist ein mangelndes Bewusstsein dafür.

Auf jeder Ebene – mikroskopisch, makroskopisch, kosmisch – gibt es diese beeindruckende Verschiedenheit, die in Einem vereint ist.
William Isaacs

JB: Uns behindert auch die Schwierigkeit, Zugang zu diesem Gefühl der Ganzheit und Stärke und den Ressourcen, die wir alle in uns tragen, zu finden.

WI: Die Geschichten über unsere Begrenzungen, die wir uns erzählen, werden zu einer Realität, die uns kontrolliert. Sie werden zur Gewohnheit, sie werden zu etwas Bekanntem und wir ziehen unseren Nutzen daraus. In gewisser Weise können uns diese Geschichten der Begrenzung nutzen – so gern wir auch das Gegenteil behaupten. In Wahrheit erhalten diese Geschichten der individuellen und kollektiven Begrenzung aber immer mehr Kraft und Nuancen. Unsere ganze Identität, unser ganzes Leben wird aus diesen Geschichten geformt, es ist also nicht so einfach, sie loszulassen.

JB: Wir können sie nicht einfach loslassen.

WI: Ja, es ist nicht so einfach. Deshalb denke ich, dass ein Teil dieser Entwicklung ein inneres Forschen ohne Scham ist. Dabei fragen wir nicht nach dem, was wir falsch machen, sondern versuchen zu verstehen, was geschieht. Denn die Frage ist letztendlich : „Wonach sehnst du dich wirklich?“ Ich denke, es gibt viele Methoden, die mit Scham arbeiten. Sie versprechen uns Befreiung, begrenzen aber in Wirklichkeit unsere Freiheit und machen den Weg noch schwerer. Deshalb ist es mir wichtig, Situationen zu schaffen, wo das nicht passiert.

ED: In einer kleinen Gesprächsgruppe habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir eine ungewöhnlich tiefe Transparenz des Selbst erleben können, in der klar wird, dass wir im Grunde eins sind. Alles, was wir erlebt haben und wodurch unsere Geschichte der Trennung oder Begrenzung entstanden ist, sind im Grunde bestimmte Mechanismen, die wir zusammen durchschauen können. Wir können sie zwischen uns förmlich durchdringen und so auch verändern. Wir können die persönliche Intensität loslassen, die meist damit verbunden ist, wodurch etwas Tiefes und Kreatives zwischen uns befreit wird.

Der Klang der Echtheit

WI: Das Dilemma sind nicht nur unsere individuellen Geschichten, sondern die Kraft und der geteilte Ballast, die damit einhergehen. Wenn uns einige Jahrzehnte lang eine Geschichte der Begrenzungen kontrolliert hat, dann wird sie nicht einfach verschwinden, weil wir einen Moment der Einsicht erleben. Wir müssen verstehen, dass diese Befreiung aus unseren Geschichten eine Wachheit und Klarheit des Fokus erfordert. Der Weg besteht in der Erkenntnis, dass es für uns nur einen sicheren Ort in der Tiefe unseres eigenen Seins gibt, so viel wir auch irgendwo anders danach suchen. In diesem Sinne ereignet sich nur ein Gespräch, weil jedes Gespräch aus diesem Sein schöpft. Es ist inspirierend, wenn wir diese innere Heimat erfahren und die Demut haben anzuerkennen, dass diese tieferen Erfahrungen nur der Beginn des Möglichen sind. Aber solche Erlebnisse können uns bestätigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und noch weitaus mehr möglich ist. Darauf zu vertrauen, ist sehr kraftvoll. Ich möchte, dass die Menschen selbst spüren, dass diese tiefere Dimension vertrauenswürdig ist. Ein Freund von mir, der in der intellektuellen und spirituellen Atmosphäre der Bürgerrechtsbewegung aufwuchs, nannte es „den Klang der Echtheit“. Die Lieder der Bewegung waren eine große Kraftquelle für die Menschen, eine große Unterstützung der Vermittlung dieses Feldes kollektiver Energie.

Wir erfahren nicht nur Nichtgetrenntsein, sondern eine lebendige Schöpfung,
Elizabeth Debold

JB: Mir gefällt dieser Ausdruck: der Klang der Echtheit, weil er auf die vielen Zugänge verweist: Wenn wir den menschlichen Geist in seinem Ausdruck sehen, sei es in der Sprache oder anderen Ausdrucksformen, fühlen wir eine Verbindung zu dieser Echtheit. Wir erfahren, dass wir der Klang der Echtheit, die Stimme des Authentischen, sind. Dieser Klang der Echtheit ist für mich die größte Hoffnung, denn wir kennen alle diesen Klang oder diese Stimme, wenn wir sie erfahren. Viele Menschen überall auf der Welt schaffen heute solche Zugänge zur Magie der Mitte, darunter auch Online-Foren, die es immer mehr Menschen ermöglichen, in Räumen zusammen zu sein, die diese Erfahrungen unterstützen. Wenn wir besser erkennen, was im Weg steht, können wir diese Räume immer angemessener gestalten. Für mich ist das die zentrale Aufgabe der Gestaltung in diesem Bereich: Wie schaffen wir Räume, in denen wir ohne Kontrolle zusammenkommen können? Wie können wir Emergenz schaffen, damit sich der Klang der Echtheit und die Stimme der Authentizität zeigen können? Für mich liegen darin die Herausforderung und das Geschenk, das dieses Feld intersubjektiver Praktiken dem Mainstream gegeben hat und noch viel umfassender geben kann.

ED: Letztendlich erfahren wir dadurch ein tiefes Vertrauen in den Lebensprozess selbst. Wenn wir erkennen, dass diese Emergenz echter Menschlichkeit zwischen uns ihre eigenen Gesetze hat und mit etwas in Resonanz tritt, das wir alle zutiefst wertschätzen und das für unser Menschsein so wichtig ist, dann spüren wir eine große Bestärkung in unserem Menschsein. Wenn wir unsere Trennung loslassen, verschwindet unser Ich oder unsere Identität nicht einfach. Wir folgen dieser tiefsten Sehnsucht und vertrauen dem Prozess und dann ist zwischen uns so viel mehr möglich.

Author:
Elisabeth Debold
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