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Dass die bisherigen Führungsstile nicht für die Welt von morgen angemessen sind, scheint vielen klar zu sein. Aber worin liegen Innovationen, die Aspekte einer neuen Praxis der Führung erkennbar werden lassen? Wir haben Menschen, die sich in verschiedenen Kontexten mit dem Thema befassen, gefragt:
Wie könnte Ihrer Erfahrung nach ein Durchbruch im Bereich Leadership aussehen?
Alexander Poraj
Leadership hat bislang eine sehr funktionale Aufgabe und richtet sich weitestgehend nach den Anforderungen der wirtschaftlichen Gegebenheiten. Diese sind sehr komplex und keine Führungskraft ist frei von diesen Zwängen. Gleichzeitig nimmt das Bewusstsein zu und wir wollen nicht mehr blind im Sinne der klassischen Erfolge wie „Besser“, „Größer“ und „Reicher“ – um nur einige zu nennen – führen noch geführt werden. Die klassischen Fragen wie „Wer bin ich?“, „Was soll ich tun?“ und „Was darf ich tun?“ stellen sich neu und geben sich angesichts der global gewordenen Entwicklung mit alten Antworten eben nicht mehr zufrieden. Hier sehe ich die Möglichkeit für alle Personen, die Verantwortung für andere tragen, anzusetzen, und zwar genau bei diesen drei Fragen und genau in dieser Reihenfolge. Die selbstverständliche Annahme, ich sei ein festes Subjekt, das die Welt zu seinem Vorteil gestalten kann, stimmt einfach nicht mehr, ist aber gleichzeitig immer noch die allgemeinste und selbstverständlichste Voraussetzung und Rechtfertigung unserer Art, den Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Ich-Zentrierung ganz individuell oder kollektiv gelebt, eben auch als Identifizierung mit einem Unternehmen, degradiert alle und alles zum Freud/Feind-Bild und drückt sich in kriegerischer Sprache und Handlungen aus. Hier besteht die Aufgabe der Spiritualität darin, Wege aufzuzeigen, die dem Zeitgeist entsprechen und die in die Erfahrung der Wirklichkeit führen, und zwar in ihrem Aspekt der absoluten Einheit allen Seins. Das wäre eine Basiserfahrung, die eine Führungsperson machen sollte, denn erst aus dieser Erfahrung heraus kann sich vieles im Umgang mit sich selbst und dadurch erst mit den anderen neu gestalten.
Terri O’Fallon
Es gibt viele Definitionen für Leadership. Diese Definitionen entstammen einer bestimmten Ebene der Bewusstseinsentwicklung. Und solange es menschliche Entwicklung gibt, wird es Durchbrüche in der Führung geben. In den frühen und mittleren Entwicklungsebenen wird Führung als ein diktatorischer Führungsstil gesehen, gefolgt von einem heroischen Führungsstil bis hin zu einer kollaborativen Führung. Wenn Führende über diese Formen von Führung hinausgehen, um neue Definitionen von Leadership zu finden, wird das möglich, was ich als „kausale Führung“ bezeichne. In unserer Arbeit haben sich vier Ebenen gezeigt, die wir in einer kausalen Führung entwickeln können. Die erste Ebene bezieht sich auf ein tiefes, bewusstes Gewahrsein der individuellen Öffnung, die das kausale Feld des Gewahrseins zugänglich macht. Man kann sich mit ihm in der Gegenwärtigkeit der Präsenz verbinden. Auf den weiteren Entwicklungsebenen wird dieses kausale Feld sehr aktiv. Im Kontext der eigenen Anliegen entsteht eine Kreativität, die aus dem Bewusstseinsfeld schöpft, dessen wir uns nun gewahr werden. So können sich weitere Fähigkeiten und Talente entfalten. Auf den folgenden Stufen der Entwicklung entsteht eine wechselseitige Beziehung zu tieferen Ebenen der Kreativität, zu einer Verbundenheit mit den Ebenen der Evolution: dem Urknall, der den Kosmos ins Sein bewegt, dem „Urknall des Lebens“, durch den das Leben entstand, und dem „geistigen Urknall“, der die Entstehung von menschlichem Bewusstsein und der Welt des menschlichen Geistes ermöglichte. Die Tiefe dieser umfassenden Quellen einer neuen Führungskompetenz strahlt aus und wirkt in den Feldern, in denen wir uns bewegen, und wird meist von anderen gar nicht bemerkt.
Peter Klein
Als Experte für integral-systemische und kollektive Bewusstseinsaufstellungen sowie als Unternehmensberater möchte ich drei Antworten geben: 1. Nachhaltiges Bewusstsein ist nur in Verbindung mit einem systemischen Ansatz möglich. Die Aufstellung ist dabei eine optimale Verortung: Wo stehe ich? Mit meinem Bewusstsein? Individuell, im Team, im Unternehmen? 2. Kollektive Bewusstseinsaufstellungen zur Zukunftsforschung lassen nicht hoffen, dass ein Durchbruch oder eine Transformation von den großen Systemen wie der Politik oder dem Finanzsystem ausgeht. Was sich aber immer zeigt, ist eine wachsende Basisbewegung, eine Evolution der Menschen innerhalb der Systeme. Da werden auch „magische Momente“ im Feld sichtbar. Denken wir beispielsweise an die Wiedervereinigung. Wer hätte ein paar Jahre zuvor gedacht, dass die Berliner Mauer fällt? Hier könnte es zu „Kairos“ kommen – Transformation aus dem Moment heraus. Mit den richtigen Führungskräften, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. 3. Aus Beratersicht: Führungskräfte finden sich oft in der klassischen „Sandwich-Position“. Druck von oben und Druck von unten. Der Beratungsbedarf ist hoch. Qualifizierte Berater, die praktische Erfahrung mit Bewusstseinsentwicklung haben und Unternehmen auch aktiv durch ihre Kontexterfahrung begleiten können, sind eher selten. Hier klafft also noch eine große Umsetzungslücke – auch aufseiten der Berater. Die zu entwickelnden Bewusstseinsqualitäten für Führungskräfte, die sich immer wieder zeigen: Mut, Herz (beherzt Ja oder Nein sagen, Entscheidungen treffen, keine Halbherzigkeiten), Kraft (für die Transformation), Achtsamkeit, Loslassen (von Sicherheit, Gewohnheiten, Angst vor Kontrollverlust), Einlassen (Beziehungs-/Bindungsaufbau). Leicht gesagt: theoretisch. Aber in der Praxis, gar nicht so einfach!
Wendelin Küpers
Führung muss heute über einen personen-zentrierten Ansatz hinausgehen, im Sinne einer heroischen, Top-Down-Führung, wie sie immer noch sehr verbreitet ist. Wir brauchen ein relationales Verständnis von Führen und „Geführt-Werden“ als Beziehungspraxis eines gemeinsam geteilten sozialen Einflussprozesses. Die Führungsforschung müsste deshalb eher Führer-Geführten-Forschung heißen und die Führungspraxis ist als systemisches und intersubjektives Feld von miteinander verflochtenen Teilnehmern im Sinne einer geteilten Führung zu denken. In diesem Feld kommt es nicht nur zu einem kognitiven und ökonomischen Austausch, sondern es sind all die leiblich- sinnlichen, emotionalen, vorrationalen und intuitiven Prozesse wie auch atmosphärische Qualitäten, die für ein Gelingen wesentlich sind. Um über ein mechanistisches Menschen- und Weltbild in der Führung und im Wirtschaftsleben überhaupt hinauszugehen kommt es auch darauf an, lebendige Ko-Kreativität, Kunst und Ästhetik umsetzungspraktisch zu berücksichtigen. In Zeiten zunehmender Arbeitsverdichtungen, Zeitdruck und Hyperaktivität kommt es dabei zudem, paradoxerweise, umso mehr auf eine engagierte Gelassenheit in Organisationen an. Darüber hinaus sind noch viel mehr als bisher auch andere Anspruchsgruppen im gesellschaftlichen Umfeld jenseits der jeweiligen Organisation zu berücksichtigen, um zu einer wirklichen Nachhaltigkeit zu kommen. Wenn dann auch noch praktische Weisheit integriert wird, kann Führung zu einem Transformationsmedium werden. Sie kann dazu beitragen, wirtschaftliche, gesellschaftlicher Prozesse ko-evolutionär mithervorzubringen, die neue Formen von Bewusstsein und Kultur entfalten lassen.
Kai Romhardt
Aus buddhistischer Perspektive sind Durchbrüche tiefe Einsichten in die Natur der Dinge und des Lebens, die unsere Sicht auf uns selbst und die Welt umfassend verändern. Manchmal sind es existenzielle Krisensituationen, Zusammenbrüche oder Verluste, die uns diese Einsichten schenken. Selten werden sie durch rationale Reflexion oder durch den Besuch eines „Leadership“-Seminars erzielt. Den Königsweg zu Einsicht und positivem Durchbruch stellt für mich die Meditation dar. Hier verändert besonders die kontinuierliche Achtsamkeitspraxis unser Führungsverhalten umfassend. Hier einige Veränderungen von Führungskräften, die im „Netzwerk Achtsame Wirtschaft“ Meditation üben: 1. Der persönliche Erfolgsbegriff wird geklärt, externe Erfolgsmaßstäbe wie Geld, Status oder Einfluss werden weniger wichtig oder ganz abgelegt. 2. Selbstreflexion, Selbst(er)kenntnis und Geistestraining werden wichtig und regelmäßig geübt. Ohne klare Selbstführung ist die Führung Dritter nur schwer möglich. 3. Persönliche Wertentscheidungen werden getroffen und bilden die Grundlage der eigenen Führungsaktivität. Führungskräfte verlassen Systeme, die sie negativ prägen oder ausrichten. 4. Verantwortung für den eigenen Geisteszustand wie Gereiztheit oder Ungeduld wird übernommen. Es wird erkannt, wie der Geisteszustand des Führenden sein Umfeld prägt. 5. Das Kommunikationsverhalten ändert sich. Zuhören ohne zu bewerten, zu urteilen und zu analysieren, wird ein Entwicklungsziel. 6. Der Zweck heiligt nicht (mehr) die Mittel. Menschen (oder Geführte) sind kein Mittel zum Zweck. 7. Es wird erkannt, dass es ein großes Glück ist, Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu sinnvollen Zielen zu führen.
Dr. Kai Romhardt, Dharma-Lehrer in der Tradition von Thich Nhat Hanh, Koordinator Netzwerk Achtsame Wirtschaft.
Author:
Peter Klein
Author:
Prof. Wendelin Küpers
Author:
Kai Romhardt
Author:
Terri O’Fallon
Author:
Dr. Alexander Poraj
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