Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
October 19, 2017
Vorneweg: Dies ist ein wichtiges und gutes Buch, das Aufmerksamkeit verdient. Das sage ich gleich am Anfang, weil ich auch ein paar kritische Töne verlauten lasse, damit die Schwerpunkte klar sind. Die Diskussion, die das Buch anzustoßen versucht, brauchen wir schon lange. Sie heißt, abgekürzt: Es ist intellektuell unredlich, wenn große Teile der Wissenschaft und der Gesellschaft so tun, als könnten wir weiter – sachlich korrekt, historisch ungestraft, politisch unbekümmert – unsere Aktivitäten vor dem Hintergrund eines kartesisch-newtonschen Weltbildes stattfinden lassen. Vielmehr müssen wir endlich zur Kenntnis nehmen, dass die Veränderungen, die mit der Quantentheorie in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts Einzug in die Physik gehalten haben und die spätestens seit den bahnbrechenden Experimenten von Aspect und Kollegen in den 80er Jahren nicht mehr ignorierbar sind, auch Auswirkungen auf andere Bereiche haben werden und müssen. Wie stark und in welche Bereiche hinein das sein wird, ist sicher eine Frage der Diskussion und der Forschung, aber diese sollte dringend beginnen. Denn viele tun so, übrigens auch viele Physiker, als wären die Ergebnisse der Quantenphysik außerhalb des speziellen Bereiches der Physik nicht weiter von Belang. Das ist ein schwerwiegender Irrtum. Denn keinerlei intellektuelle und menschliche Aktivität kommt ohne Hintergrundannahmen aus. Die Hintergrundannahme unserer modernen Wissenschaft ist größtenteils noch immer eine quasi-materialistische, quasi-deterministische Sicht der Welt, wie sie sich aus einer extrapolierten newtonschenunddescarteschen Mechanik und einer Überspitzung des descarteschen Dualismus ergibt.
Gegen diese Sicht der Welt richtet sich die Argumentation des Buches. In einem sehr nützlichen Eingangskapitel wird die Entwicklung der Naturwissenschaft aus der antiken Forschung dargestellt. Manches in diesem Kapitel, finde ich, hätte von einer vertieften Kenntnis der neueren Forschung profitiert. Vieles in diesem kurzen Abriss der Geistesgeschichte ist aber sehr gelungen dargestellt und kann dem weniger spezialisierten Leser einen schönen Überblick verschaffen.
Keinerlei intellektuelle und menschliche Aktivität kommt ohne Hintergrundannahmen aus.
Das eigentliche Argument beginnt ab S. 105, wo die neue Entwicklung der Quantenmechanik dargestellt wird. Dies ist ein sehr gelungenes Kapitel. Denn es vermittelt in einfacher Sprache den durchaus komplexen Sachverhalt so, dass er gut verständlich wird. Darin zeigt sich, dass wir es mit Insidern zu tun haben. Christine Mann ist die Tochter Werner Heisenbergs und ihr Ehemann und Co-Autor Frido Mann ist der Enkel Thomas Manns. Erstere steht für gute Quellenkenntnis, was die Entwicklung der Quantenmechanik angeht, letzterer für exzellenten Schreibstil. Gemeinsam ist den beiden Autoren eine Ausbildung in Theologie und Psychologie und ein vertieftes Interesse an Kulturgeschichte und dem Zusammenhang zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. In diesem Kapitel über die Entwicklung der Quantenmechanik werden die radikalen Neuorientierungen aus der Sicht der Pioniere der Kopenhagener Deutung – Heisenberg, Bohr, Born, Pauli sowie später von Weizsäcker – skizziert und auch die leidenschaftlichen philosophischen Debatten jener Frühzeit portraitiert. Leider hat sich diese philosophische Diskussion um die Konsequenzen der Quantenmechanik irgendwann verloren. Seither tut die gebildete Welt so, als wäre diese Theorie ein physikalisches Spezialproblem, dessen Relevanz an der Planck-Grenze der Zeit und des Raumes endet, also nur für ganz winzige Dinge und ganz kurze Zeiträume relevant wäre. Und genau gegen diese Haltung gilt es zu argumentieren. Dies gelingt dem Buch teilweise recht gut, weil es die physikalische Spezialperspektive verlässt. Darin sind die Autoren der Vätergeneration treu und führen diese notwendige Diskussion weiter. Die Unbestimmtheit, und damit die letztliche Freiheit der Entwicklung in der Zukunft – gegen jeglichen Determinismus – und die Bedeutung des Beobachters und des Bewusstseins – gegen einen banalen Materialismus – sind dabei die Konstanten der Argumentation, die die Autoren als Grundbestand der quantentheoretischen Einsicht orten. Daraus entwickeln sie dann ein Weltbild, in dem Geist und Materie, wie der Untertitel sagt, eigentlich zusammengehören, und in dem ein materialistisch-deterministisches Weltbild nicht mehr haltbar ist. Das empfinde ich als sehr befreiend, weil die Rede nicht von irgendwelchen Tertiärgelehrten geführt wird, sondern von naturwissenschaftlich gebildeten Theologen – einer erlesenen Spezies von großer Seltenheit.
Im nächsten Kapitel wird dann eine spezielle Fassung der quantentheoretischen Betrachtung eingeführt. Sie geht auf Carl Friedrich von Weizsäcker zurück und wurde vom Ehepaar Thomas und Brigitte Görnitz in der letzten Zeit popularisiert. Der Grundgedanke ist folgender: Wenn man die Erkenntnis der Physik über die Natur der Materie ernst nimmt, dann bleibt eigentlich nur noch Information als grundlegende Entität übrig, keine Materie. Quanteninformation, so die Idee von Görnitz & Görnitz, ist die grundlegende Entität im Kosmos aus der sich beides, materielle und geistige Existenz ableiten lassen. Daraus lassen sich dann sowohl Nichtlokalität, ein grundlegendes Prinzip der Quantentheorie, als auch Spiritualität ableiten und begründen.
Das Wichtige an diesem Buch ist die Diskussion um die weiterführende Bedeutung der Quantenmechanik über den physikalischen Bereich hinaus und das Verdienst, dies in einer Sprache getan zu haben, die jedem offenen Geist zugänglich ist, auch wenn er oder sie keine Hintergrundkenntnisse der Naturwissenschaft mitbringt. Sachlich finde ich nicht alle Argumente überzeugend. Es ist schön zu sehen, wie die Autoren spirituelle Erfahrungen, Telepathie und Fernwirkungen ernst nehmen und einen Platz in ihrem Denken einräumen. Aber das und ob die hier favorisierte Theorie einer Quanteninformation das Problem wirklich löst, scheint mir nicht ausgemacht. Genauer gesagt, ich glaube, dazu benötigt man einen vertiefteren Zugang, der sich ganz von signaltheoretischen Konzepten löst, die noch sehr im kausalen, einsteinschen Denken verhaftet sind. In letzter Zeit gab es multiple Versuche, quantenphysikalische und quantentheoretische Überlegungen auch in anderen Bereichen fruchtbar zu machen. Warum, so wäre zu fragen, sollten quantentheoretische Phänomene für unsere Lebenswelt irrelevant sein, wenn schon das grundlegende Faktum der Biologie, die Photosynthese, ein quantenphysikalisches Phänomen ist und wenn große astrophysikalische Erscheinungen wie Quasare eine quantentheoretische Beschreibung brauchen? Hier hätte das Buch durchaus noch tiefer in die Kiste der Naturforschung greifen können, um das Argument zu stärken, dass wir an einer neuen Hintergrundtheorie unserer Welt, die die Erkenntnisse der Quantenphysik berücksichtigt, nicht vorbeikommen. Aber vielleicht kann umgekehrt dieses Buch anderen Autoren, denen schon lange der Sinn danach steht, die Relevanz quantenphysikalischer Phänomene für unser Weltmodell zu beschreiben, den Weg ebnen. In diesem Sinne hat dieses Buch, wie ich meine, eine wichtige kulturgeschichtliche Funktion: als Türöffner für eine solche Diskussion, die endlich enttabuisiert und offen sowie öffentlich geführt gehört. Genau der momentane vermeintliche Mehrheitskonsens, dass ein deterministisch-materialistisches Hintergrundmodell unserer Welt ausreichend, angemessen und wissenschaftlich abgesegnet ist, genau der gehört hinterfragt. Und dieses Buch ist ein wichtiger, durchaus ernst zu nehmender Schritt.