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Eugene Pustoshkin engagiert sich in Russland für Bewusstseinsentwicklung und die Verbreitung integralen Denkens. Vor Kurzem begründete er mit Freunden das Online Journal „Eros und Kosmos“. evolve sprach mit ihm über das Aufwachsen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die Wurzeln integralen Denkens in Russland und seine Arbeit als Autor und Übersetzer.
evolve: Du bist in der Zeit nach dem Ende der Sowjetunion aufgewachsen, wie hast du diese Zeit erlebt?
Eugene Pustoshkin: Es war sehr schwierig. Ich wurde im Osten Russlands, auf der Halbinsel Kamtschatka, geboren, wo mein Vater als Marineoffizier stationiert war. Dort verbachte ich die ersten sechs Jahre meines Lebens, ich war vier, als die Sowjetunion zusammenbrach. Als ich sechs war, zogen wir nach St. Petersburg. Aus meiner Kindheit erinnere ich mich an ein ständiges Gefühl der Unsicherheit. In St. Petersburg konnte man die Straße entlanggehen und sehen, wie Gangs aufeinander schossen. Eine Atmosphäre der Angst durchzog die Stadt. Auch war die finanzielle Situation für meine Familie sehr schwierig. Ich spürte, dass etwas mit der Welt um mich herum nicht stimmte. Es gab diese Ausbrüche von Gewalt und die alten Strukturen der Sowjetzeit fielen auseinander, was bei vielen zu Orientierungslosigkeit führte. Sie hatten all ihre Werte verloren und wussten nicht, an welche sie sich nun halten sollten. Lenin war kein Heiliger mehr und der Kommunismus schien ein Fehler gewesen zu sein. Natürlich gab es auch große Hoffnungen. Wenn ich zurückschaue, sehe ich zwei Leben: ein schwieriges Leben im Außen und dann gab es für mich noch ein anderes Leben in Büchern und am Computer. Ich spielte oft Computerspiele und las Science Fiction-Bücher. Das war meine Welt.
e: Wie begann dein Interesse an Spiritualität und integralen Ideen?
EP: Es begann alles mit dem Internet, das wir in Russland Ende der 90er Jahre bekamen. Ich spielte Online-Videospiele mit Leuten aus der ganzen Welt und surfte viel im Netz. So entdeckte ich Texte über Psychologie, esoterische Themen, am einflussreichsten waren die Bücher von C. G. Jung, Stanislav Grof und Carlos Castaneda. Damals war ich 14 und verstand nicht viel, von dem, was ich da las, aber ich wusste, dass ich Psychologe werden wollte. In den folgenden Jahren interessierte ich mich vor allem für die Schriften transpersonaler Psychologen. In meiner Gymnasialzeit ging ich dann für ein Jahr im Rahmen eines Schüleraustauschs in die USA und als ich zurückkam, begann ich mit dem Studium der klinischen Psychologie. An der Universität machte mich jemand mit den Büchern des integralen Philosophen Ken Wilber bekannt und ich las die ersten Übersetzungen seiner Bücher. Schon bald begann ich selbst Texte von ihm zu übersetzen, was bis heute zu vielen Übersetzungen einschließlich einiger Bücher von Wilber führte. Ich denke, es ist sehr wichtig solche Bücher und die darin enthaltenen Ideen ins Russische zu übersetzen, um sie wirklich im eigenen kulturellen Kontext lebendig zu machen. Mit 18 hatte ich auch meine erste echte spirituelle Erfahrung, ein tiefes psychedelisches Erlebnis, und dadurch verstand ich noch tiefer, worüber Wilber sprach. Während meines Studiums lernte ich den transpersonalen Psychotherapeuten Sergej Kuprijanow aus Helsinki kennen, der in seiner Arbeit Ken Wilbers integrale Psychologie anwendete. In der Sowjetunion war er einer der ersten, die die Gestalttherapie an Psychologen und Klienten in der etablierten Psychiatrie weitergaben und er forschte auch an parapsychologischen Experimenten mit non-lokalem Bewusstsein. Mit Holoscendence entwickelte er ein System, mit dem er ein spirituelles Gewahrsein in alle Aspekte des Lebens bringen möchte. Seit 2008 lerne ich von ihm und helfe dabei, Holoscendence in Russland bekannt zu machen.
e: Anfang des Jahres hast du mit Freunden das Online Magazin „Eros und Kosmos“ gestartet. Was ist eure Vision für dieses Magazin?
EP: Ich habe viele Texte übersetzt und bearbeitet, es wurde eine spirituelle Praxis für mich und ich wollte mehr Menschen damit erreichen. Über Facebook und andere Netzwerke war ich mit vielen Leuten überall auf der Welt in Kontakt, aber an einem bestimmten Punkt spürte ich, dass es an der Zeit war, etwas in der russischen Kultur zu tun. Es wurde zu meiner Leidenschaft, selbst Texte über integrale Themen zu schreiben, um mein eigenes Verständnis zu vertiefen. Aus einem Gespräch mit zwei Freunden, Viktor Shijaew und Gleb Kalinin entstand die Idee für ein Online-Forum, um diese Texte in die russische Gesellschaft zu bringen und so Impulse für die Bewusstseinsentwicklung zu geben.
e: Auf „Eros und Kosmos“ schreibt ihr: „Wir wollen das wieder wiedererwecken, was Dostojewski 1880 als die Universalität und globale Menschlichkeit des russischen Geistes beschrieben hat.“ Kannst du sagen, was ihr damit meint? Und siehst du in Russland selbst Wurzeln für ein integrales Denken?
EP: Für mich geht es dabei um eine Besinnung auf tiefere Potenziale einer Kultur, es ist eine Art archäologische Grabung im Bewusstsein, um ein Erbe zu finden, mit dem man sich verbinden kann. In verschiedenen Kulturen gab es Impulse integralen Denkens. In Russland ist dies auch der Fall, und Dostojewski ist ein wichtige Inspiration dabei. Im 19. Jahrhundert war die russische Intelligenzija sehr vom deutschen Idealismus beeinflusst. Es gab gnostische Gruppen und Freimaurerbewegungen in der Aristokratie. Dostojewski und Tolstoi hörten die Vorträge von Wladimir Solowjow, ein Philosoph mit einer explizit spirituellen Ganzheitsvision. Im 20. Jahrhundert gab es Denker wie Wasilj Nalimow oder den Filmemacher Andreij Tarkowski, die an diese Tradition anknüpften. Eines unserer Ziele ist also, diese Quellen zu finden und sie miteinander zu verbinden, um unser tieferes Erbe zu verstehen, nicht nur intellektuell, sondern auf seelischer Ebene.
e: Angesichts der angespannten Lage in Russland, welche Wirkung möchtest du in deinem Land erreichen?
EP: Im Grunde bringt mich das zu der Frage, was mein tiefster existenzieller Sinn im Leben ist. Für mich ist es der Wunsch, zu unserer weiteren Evolution beizutragen. Wir haben mit unserem Magazin zwar große Ziele, wenn wir aber nur einem Menschen helfen, sich zu verwandeln, dann waren wir erfolgreich. Ich denke, der Kosmos entwickelt sich nicht nach Anzahl oder Quantität, sondern in Qualität. Das Wichtigste ist die Schaffung eines Feldes, in dem die Qualität integralen Bewusstseins präsent ist und mein Leben durchdringen kann. Und dann können wir in diesem Bewusstsein zusammenkommen. Ich glaube nicht, dass es in unserer Macht liegt, die ganze Welt zu verändern. Unsere Aufgabe ist vielmehr, unser eigenes Potenzial zu verwirklichen und so auch auf andere Menschen und die Kultur zu wirken. Und wenn wir bewusst wachsen, dann wird die Reichweite unseres Einflusses wachsen. Ich denke immer an kleine Schritte, an das, was ich jetzt tun kann: Ich kann in meiner eigenen Weisheit wachsen und versuchen, meine Berufung zu leben. Wenn ich das tue, dann verändere ich auch die Kultur. Oft versuchen Menschen innere Probleme dadurch zu lösen, dass sie sich allein dem Aktivismus in der Welt widmen, ohne ihrer eigenen Entwicklung Aufmerksamkeit zu schenken, aber das verringert ihr Potenzial, in der Welt Gutes zu tun. Ich versuche hier also eine integrale Perspektive anzuwenden, in der wir an unserer eigenen Entwicklung und an der Veränderung unserer Kultur und der Welt gleichzeitig arbeiten.
Author:
Mike Kauschke
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