Transformative Geschichten
Die Filmserie »Shifting Landscapes«
November 7, 2019
Als Menschheit haben wir uns von der äußeren und auch von unserer inneren Natur abgetrennt. Wir haben vergessen, dass wir Teil eines größeren lebendigen Ganzen sind. »Unser Fokus liegt auf unseren Technologien, was uns immer weiter von unserer natürlichen Umgebung entfernt«, so der Philosoph David Abram, der als einer der Vordenker der Tiefenökologie gilt und in seinem Denken den Gründen und Folgen unserer Entfremdung vom Natürlichen nachgeht.
In dem Film »Becoming Animal« – wie auch eines der philosophischen Hauptwerke David Abrams heißt – reisen die Filmemacher Peter Meller und Emma Davies mit David Abram durch den Teton-Nationalpark in Wyoming. Zusammen spüren sie der Verbindung zur natürlichen Außen- und Innenwelt nach, um sie den Zuschauer*innen durch das Medium Film nahezubringen. Sie wissen, wie ambitioniert das ist: Wie kann uns Technologie helfen, uns mit dem vibrierenden Leben zu verbinden, das uns umgibt? fragt sich Meller, misstrauisch, ob dies tatsächlich möglich sein wird. Aber es ist eines der »Wunder« dieses Films, wie nahe uns die Natur durch filmische Mittel kommen kann.
Als Zuschauer sieht man zunächst grasende Elchbullen. Dann beginnt die Reise im Dunkeln mit wunderschönen Tonsequenzen: sehr hohe melodische Töne und immer wieder grunzende Tiefen. Klänge, die sich als »Gesänge« der männlichen Elche bei der Brunft entpuppen. Abram sieht in diesen bewegenden Tönen den Beginn der menschlichen Musik.
Im weiteren Verlauf der Reise wechseln sich Abrams philosophische Betrachtungen mit Landschaftsbildern, Tieraufnahmen oder Ton-Bild-Sequenzen von äußerster Intimität ab: Man schaut zum Beispiel einer Schnecke in Großaufnahme zu, wie sie langsam aus ihrem Gehäuse gleitet. Man hört und sieht rauschende Blätter im Wind oder glucksende Flüsse und Bäche. Man sieht majestätisch in sich ruhende Berge und wunderschöne Sonnenaufgänge mit aufsteigenden Nebeln. Der Zuschauer bleibt zeitweise den Bildern und Tönen überlassen, schaut und hört einfach zu und verbindet sich mit dem Geschehen. Wie er Verbundenheit erlebt, beschreibt Abram so: »Wenn ich eine andere Kreatur anschaue und beobachte, wie sie sich bewegt, bildet sich über meine Sinne eine Synapse von meinem Nervensystem zu ihrem Nervensystem. Dadurch ist mein Bewusstsein in direktem Kontakt zu ihrem Bewusstsein. Wahrnehmung ist eine fortlaufende Improvisation zwischen meinem Körper und dem Körper eines anderen Wesens.«
Alles ist von einer pulsierenden Lebendigkeit durchdrungen.
Den Bruch von Menschheit und Natur ordnet Abram historisch bei der Entstehung der alphabetischen Schrift ein. Ursprünglich sei die Schrift aus der Interaktion mit der Sprache der Erde entstanden, was in der Symbolik der Bilderschrift sichtbar ist. Mit der abstrakten alphabetischen Schrift schließlich begann die Fokussierung der Menschheit auf sich selbst. Nun erlebten die Menschen nur noch sich als bewusst, alles andere hatte kein Bewusstsein mehr.
Abram hat längere Zeit in schamanisch geprägten Kulturen in der Natur gelebt und sich dort auf eine tiefe Wahrnehmung der mehr-als-menschlichen Welt, wie er es nennt, eingelassen, offen für die Gerüche, Klänge und Bilder um ihn herum. In dieser sinnesoffenen Begegnung wurde für ihn die Verbindung mit dem Land, den Tieren und den Pflanzen spürbar. Genauso konnte er die jedem dieser Wesen innewohnende Intelligenz wahrnehmen und ihm wurde auch klar, dass das Wesen einer Landschaft die dort lebenden Tiere, Menschen und Pflanzen in ihrer Persönlichkeit zutiefst prägt. Alles ist von einer pulsierenden Lebendigkeit durchdrungen, die sich wechselseitig beeinflusst, und wir stehen im stofflichen Austausch mit der Umgebung. Wir sind nicht in unserer eigenen Innenwelt eingeschlossen, wie wir das oft in unserer verstandesorientierten Weltwahrnehmung meinen. Tatsächlich stehen wir als durchlässige Wesen in einer zutiefst belebten Biosphäre, wenn wir unsere Sinne dafür öffnen. Und, davon ist Abram überzeugt, ohne dieses Empfinden unserer Verbundenheit mit dem Lebendigen können wir als Menschen nicht wirklich wir selbst sein und werden.
Der Film »Becoming Animal« findet erstaunliche Wege, diese spürende Wahrnehmung zu öffnen und uns unsere grundlegende Verbindung zur Natur bewusst machen. Beides ist in Zeiten von Klimaerwärmung, Plastikvermüllung und Giftstoffen in Boden und Luft essenziell wichtig für unser Überleben. Denn mit einer Natur, mit der wir durch und durch verbunden sind, auf die wir uns durch die spürende Wahrnehmung einlassen, werden wir anders umgehen.