Eigene Wege gehen

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

October 29, 2014

Mit:
Ashok Malhotra
Sabari Gomes
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AUSGABE:
Ausgabe 04 / 2014:
|
October 2014
Führung neu denken
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Ein anderer Blick auf Entwicklung

Nachdem er auf die Arbeit von Clare Graves gestoßen war, entwarf Ashok Malhotra sein eigenes Modell individueller und kollektiver Entwicklung, das er sowohl als Berater als auch in der Arbeit der gemeinnützigen Bildungseinrichtung Sumedhas anwendet. evolve sprach mit der Leiterin von Sumedhas, Sarbari Gomes, und Ashok Malhotra über ihre Arbeit.

evolve: In Ihrer Arbeit verbinden Sie die Weisheit der indischen Kultur mit westlichen Elementen wie Psychologie und Entwicklungstheorie? Was hat Sie zu dieser Arbeit geführt?

Ashok Malhotra: Mein Interesse an einem integrativen Ansatz von Entwicklung begann um das Jahr 1974, als ich die Arbeit von Clare Graves kennenlernte. Er war einer der ersten Psychologen, die über verschiedene, aufeinanderfolgende Ebenen menschlicher Entfaltung sprachen – ein Modell, das heute meist unter dem Namen „Spiral Dynamics“ bekannt ist. Seine Ideen erregten sofort meine Aufmerksamkeit und ich begann mit den Existenzebenen von Clare Graves zu arbeiten und entwickelte daraus ein Modell mit eigenen Beschreibungen verschiedener Entwicklungsstufen, in einem Bezugssystem, das ich als „Das existenzielle Universum“ bezeichne (siehe Grafik).
In diesem Modell betrachten wir das Konzept von Entwicklung nicht in einer normativen Bedeutung, sondern sehen Evolution als ein Phänomen, das auftritt, aber weder erwünscht noch unerwünscht ist. Denn wenn man Entwicklung aus einer normativen Perspektive sieht, entsteht die Tendenz, die späteren Stufen als überlegen und daher erstrebenswerter anzusehen. Aber unsere Erfahrung zeigt etwas anderes. Wenn wir Menschen und Systeme verstehen wollen, dann bilden die früheren Stufen – oder Universen, wie wir sie nennen – die grundlegenden Bausteine. Wie jemand die späteren Stufen erlebt, ist stark davon beeinflusst, wie die früheren Stufen zum Ausdruck gebracht werden. Zudem glauben wir, dass es niemanden gibt, der auf der einen oder anderen Stufe ist. An jedem Ort und zu jeder Zeit ist jedes Individuum (oder jedes lebendige System) eine einzigartige Mischung aus diesen Universen. Das Besondere an unserem Modell ist, dass es sich auf das Zusammenspiel zwischen diesen Universen fokussiert, und nicht auf die einzelnen Stufen als separate Ebenen.

Für eine gesunde Entwicklung müssen wir alle Ebenen integrieren, insbesondere diejenigen, die wir nicht mögen.
Ashok Malhotra


Um dieses Zusammenspiel zu verstehen, haben wir zwei Formen dessen entwickelt, was wir „The Existential Universe Mapper“ (EUM) nennen. Auf der individuellen Ebene (EUM-I) betrachten wir, wie die sechs Universen in einem Individuum zum Ausdruck kommen. Auf der organisatorischen oder kollektiven Ebene (EUM-O) arbeiten wir mit diesen Dynamiken in Organisationen.

e: Wie würden Sie Ihr Ziel und Ihr Entwicklungsverständnis in Ihrer Arbeit mit Individuen und Organisationen beschreiben?

AM: Bei der Arbeit mit Individuen versuchen wir das Zusammenspiel der Universen zu verstehen, um Wege zu finden, wie es effektiver und gesünder werden kann. Es gibt beispielsweise viele Menschen, die versuchen die Bedürfnisse eines Universums durch das Verhalten eines anderen Universums zu befriedigen. Ein typisches Beispiel ist das Sicherheitsbedürfnis („Universum der Zugehörigkeit & Sicherheit“), das das Individuum durch aggressives Verhalten zu befriedigen sucht („Universum der Stärke & Begierden“). Dabei wird der Mensch umso aggressiver, je unsicherer er sich fühlt. Er oder sie versucht also das Bedürfnis nach Sicherheit durch ein Verhalten zu befriedigen, das noch mehr Feindseligkeit erzeugt und somit kontraproduktiv ist. Solange wir versuchen, das Bedürfnis eines Universums mit einem Verhalten zu erfüllen, das für ein anderes Universum angemessen ist, werden wir es niemals vollends befriedigen. Einer der Hauptgründe für dieses Verhalten besteht darin, dass der Mensch nicht in der Lage ist, das Bedürfnis nach Sicherheit in sich selbst anzunehmen, was seine Ursache in Erfahrungen der Verlassenheit oder der Verwaistheit haben kann. Wenn der Mensch aber das Bedürfnis nach Sicherheit als ein legitimes menschliches Bedürfnis versteht, in dem er oder sie einfach anerkennt, dass es nicht verschwinden wird, dann wird es leichter, dieses Bedürfnis angemessener zu erfüllen.

6. Universum der Dualität & Gleichzeitigkeit/Das Holon
5. Universum der Sinnstiftung & Intimität/Die Ökologie
4. Universum des Anspruchsdenkens & der Leistung/Das Netzwerk
3. Universum der Rollen & Grenzen/Das Uhrwerk
2. Universum der Stärke & Begierden/Die Arena
1. Universum der Zugehörigkeit & Sicherheit/Der Klan


Wie ich schon erwähnt habe, liegt der Schwerpunkt beim EUM auf der Klärung der Versuche des Menschen, die frühen Ebenen, also das „Universum der Zugehörigkeit & Sicherheit“ und das „Universum der Stärke & Begierden“, zum Ausdruck zu bringen. In diesem Sinne arbeiten wir eher im Sinne eines „Zurückgehens“, als dass wir uns mit dem „Vorwärtsgehen“ beschäftigen. Für diese Arbeit verwenden wir das indische Wort Bhooman, was so viel heißt wie „geerdet sein“. Das Hauptanliegen unserer Arbeit ist also, dass die Menschen ihre Wurzeln finden und sich geerdet fühlen können. In Organisationen arbeiten wir häufig auf der individuellen und der organisatorischen Ebene gleichzeitig. Wenn wir mit den Führungsteams arbeiten, analysieren wir den individuellen Umgang mit den sechs Universen und haben dabei auch die Struktur der Organisation im Hinterkopf. Dann untersuchen wir, wie sich das im organisatorischen Kontext auswirkt, welche Dynamiken dadurch entstehen und ob das Team sie verändern möchte.

Das Verstehen von Ich und Kontext als einen wechselseitigen Prozess ermöglicht Veränderung.
Sarbari Gomes


Für eine gesunde Entwicklung müssen wir alle Universen integrieren, insbesondere diejenigen, die wir nicht mögen. Immer wenn ein Universum nicht zum Ausdruck kommen kann, zeigt es sich in einer Schattenform in anderen Universen. Wir beraten zum Beispiel Organisationen, die zu stark damit beschäftigt sind, ihre Marktanteile auszuweiten und zu expandieren. Durch diesen Fokus kann die Organisation die Bedürfnisse des „Universums des Anspruchsdenkens & der Leistung“ für die Mitarbeiter erfüllen, aber die anderen menschlichen Bedürfnisse nach Sicherheit, Verbundenheit, Stabilität usw. könnten ignoriert werden. Diese unterdrückten oder abgelehnten Bedürfnisse zeigen sich dann meist in dysfunktionalen Ausdrucksformen, zum Beispiel in dem Gefühl, dass man jederzeit von anderen attackiert werden könnte, oder dem Versuch der Mitarbeiter, bevorzugt zu werden, oder in der Machtausübung der Vorgesetzten, indem sie bestimmte Mitarbeiter bevorzugen.

e: Welche Auswirkungen hat diese Arbeit auf die Organisationen?

Sabari Gomes: Wir verwenden diesen Ansatz sehr oft im Coaching von leitenden Angestellten und es ist äußerst sinnvoll hinsichtlich der Entwicklung von Führungskräften. Auf einer individuellen Ebene versteht die Führungskraft seine oder ihre eigenen Werte, Strukturen, Glaubenssätze und Entscheidungen. Auf der organisatorischen Ebene können wir das gesamte organisatorische System abbilden und ein zukünftiges System vergegenwärtigen, welches die Führungskräfte entwickeln wollen. So können sie sehen, was für ein Führungsteam sie sind  und was für eine Organisation sie entwickeln möchten und wie sie beides miteinander in Einklang bringen können.

e: Sie arbeiten auf individueller und systemischer Ebene gleichzeitig. Wo sehen Sie die Vorteile dieses Ansatzes?

MA: Es ist sehr befreiend für das Individuum, weil der Mensch sieht, dass alles, was ihm geschieht, sowohl von den eigenen Entscheidungen als auch vom Kontext, in dem er oder sie sich befindet, beeinflusst wird. Dadurch werden Menschen frei von jeder Opferhaltung.

SG: Es handelt sich hier um einen wechselseitigen Prozess, in dem sich Ich und Kontext gegenseitig beeinflussen. Wenn Menschen das verstehen können, fühlen sie sich ermutigt, sowohl auf einer individuellen als auch einer organisatorischen Ebene Veränderungen anzugehen.

e: Wie sehen Sie Ihre Arbeit im Kontext einer sich entwickelnden indischen Kultur?

MA: Seit einem Jahr arbeite ich mit einem Team insbesondere am „Indisch-Sein“. Wir untersuchen „Indisch-Sein“ im Sinne dessen, was ich als die „zivilisatorische Quintessenz“ bezeichne. Diese Quintessenz ist nicht als Entweder-oder zu sehen, sondern vielmehr als eine bestimmte Neigung. Wenn wir auf die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Autonomie und Kommunion blicken, zeigt sich, dass die indische Quintessenz eine leichte Neigung zum Pol der Kommunion hat. In dieser Arbeit ist unser Hauptanliegen, uns selbst besser zu verstehen und uns zu fragen, welche Arten von Fortschritt, Entwicklung und Führung für uns angemessen sind. Dies ist besonders relevant für Zivilisationen, die durch eine Geschichte der Kolonialisierung gegangen sind, weil ihr Verständnis dieser Aspekte oft von den Kolonialisten übernommen wurde.

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