Eine Oase für Sinn und Sinne

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

April 17, 2018

Mit:
Grace Zozobrado-Hahn
Rudolf Steiner
Walter Siegfried Hahn
Kategorien von Anfragen:
Tags
AUSGABE:
Ausgabe 18 / 2018:
|
April 2018
Was ist heute heilig?
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Integrale Nachhaltigkeit auf den Philippinen

Seit acht Jahren bauen Walter Siegfried Hahn und Grace Zozobrado-Hahn auf der Insel Palawan ein Projekt für Bildung und Nachhaltigkeit auf, das vor allem auf bio-dynamischer Landwirtschaft und Erfahrungsfeldern für die Sinne basiert.

evolve: Wie kam es zur Gründung eures Projekts »Koberwitz 1924« auf den Philippinen?

Walter Siegfried Hahn: Ich war 2006 zu Vorträgen in Manila eingeladen, wobei ich meine Frau kennenlernte. Wir haben uns dann entschlossen, etwas zur Entwicklung der Philippinen beizutragen, denn hier gibt es viel zu tun. Neben der schwierigen politischen Lage können sich in den Gegenden, wo wir heute arbeiten, 20% der Bevölkerung keine drei Mahlzeiten am Tag leisten, es gibt Hunger und Mangelernährung. Knapp die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Mit meinen Erfahrungen aus der Anthroposophie und der Arbeit mit Erfahrungsfeldern sowie denen meiner Frau aus Anthroposophischer Medizin und Waldorfpädagogik hatten wir den Eindruck, in diesem Land etwas beitragen zu können.

Nach einiger Zeit in der Hauptstadt Manila leben wir heute auf der Insel Palawan, eine der ökologisch wertvollsten Gegenden auf der Welt. Bisher war die Insel wenig besiedelt. Inzwischen ist durch den Tourismus-Boom eine massive Entwicklung in Gang gekommen, wodurch die Natur stark bedroht ist.

In den vergangenen acht Jahren haben wir unsere Arbeit auf Palawan vor allem auf zwei Säulen aufgebaut: die Förderung der Sinneswahrnehmung als komplementäres Bildungsangebot zu allen Bildungs-, Ausbildungs- und Fortbildungsstufen und in der Freizeit. Und dem Lernen an konkreten praktischen Beispielen, wie man sinnvoll mit Wasser, Boden, Kindern, Gesundheit, Ernährung, Familienplanung u. a. umgehen kann.

Ein Erfahrungsfeld bedeutet, dass wir die sinnliche Begegnung von Menschen mit Ur-Erlebnissen gestalten.

e: Wie versucht ihr, Beispiele für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt zu geben?

WSH: Ein Kernanliegen ist, die bio-dynamische Landwirtschaft umzusetzen und zu vermitteln – daher auch der Name unseres Projekts: Koberwitz ist der Ort, wo Rudolf Steiner 1924 die biologisch-dynamische Landwirtschaft begründet hat. Diese Methode schließt sowohl Praktiken aus der biologischen Methode als auch aus der Permakultur ein und geht weit darüber hinaus. Für den Konsumenten ist damit eine viel höhere Nahrungsmittelqualität verbunden, vor allem was die Lichtkräfte der Nahrung betrifft, was der hier weitverbreiteten Mangelernährung entgegenwirkt. Für den Bauern ist mit dieser Landwirtschaft eine Art Empowerment verbunden, und das bedeutet viel in einem Land, wo dieser Beruf wenig Ansehen genießt und ausstirbt.

Ein anderes Beispiel unserer ökologischen Arbeit ist der Umgang mit Wasser. Das Wasser hier wird massiv verschmutzt, weil die Menschen Abfälle in die Flüsse werfen und Fäkalien einleiten. In unserem Zentrum haben wir eine Kläranlage mit relativ einfachen Mitteln gebaut. Sie braucht keine Energie. Das Wasser, das aus der Kläranlage kommt, hat die höchste Trinkwasserqualität, so wie in von Menschen unbewohnten, weit abgelegenen Gegenden. Wir möchten damit zeigen: »Schaut, mit relativ einfachen Mitteln kann man Wasser pflegen.« Außerdem sammeln wir Regenwasser in einem Regenwassertank und wir gehen durch eine Tröpfchenbewässerung sparsam mit Wasser um. Momentan gibt es Skandale in den großen Tourismuszentren wegen immer mehr Fällen von Vergiftungen mit E. coli Bakterien. Jetzt melden sich hier Bürgermeister und andere Entscheidungsträger und lassen sich unsere Vorgehensweise zeigen.

Fotos: Ariel Nishri

e: Was ist nach deiner Erfahrung notwendig, dass solche Ansätze von den Menschen angenommen werden?

WSH: Für mich geht es vor allem um Bildung. Für die meisten Leute hier steht zunächst das Geld im Vordergrund. Die Armen müssen schauen, wie sie ihre nächste Mahlzeit bezahlen. Die Reichen lernen schon in Schule und Uni, dass es darum geht, möglichst viel Geld zu verdienen. Auf den Philippinen kaufen inzwischen alle Menschen, auch die ärmsten, das Trinkwasser aus einem Depot. Deshalb haben wir einen einfachen, hervorragenden Wasserfilter eingeführt, der Trinkwasser zu einem Zehntel des Preises ermöglicht. Aber die Menschen haben diese Lösung nicht angenommen, weil sie die Ersparnis nicht verstanden haben und die Tausend Pesos für so einen Filter nicht ansparen konnten. Nachhaltige Veränderungen haben also mit Erkenntnis- und Willensbildung zu tun. Es handelt sich um längerfristige Bildungsprozesse, verbunden auch mit Gemeinschaftsbildung, wie man das aus der Mikrofinanz kennt. Und in den Schulen und Hochschulen müsste gelehrt werden, dass es in der Wirtschaft nicht darum geht, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern die Menschen mit sinnvollen Waren und Dienstleistungen zu versorgen.

e: Du hast das Erfahrungsfeld der Sinne »Schloss Freudenberg« mit aufgebaut und geleitet. Wie setzt ihr diese Arbeit in eurem Projekt um?

WSH: In Mitteleuropa sind unsere Sinne in vieler Hinsicht geschützter als hier. Der Lärm von Motoren, von Karaoke oder von Ansagen am Flughafen würden in Deutschland auf keiner Baustelle akzeptiert, die Duftbäumchen in den hiesigen Taxen sind Giftbomben. Also ist es mir ein großes Anliegen, das Erfahrungsfeld der Sinne hier auch den Menschen zugänglich zu machen. Ein Erfahrungsfeld bedeutet, dass wir die sinnliche Begegnung von Menschen mit Ur-Erlebnissen gestalten: ein mächtiger Gong, aber auch das einfache Fokussieren auf die Geräusche der Umgebung. Ein Barfußweg, ein Balancierbalken. Wir haben hier festgestellt, dass die Begegnung mit dem Boden, den Bodenlebewesen und den Pflanzen tiefe Wirkungen auslöst. Die Leute hängen schon so am Internet, dass viele noch nicht einmal eine Bananenpflanze kennen. Wenn ich sie mit geschlossenen Augen zu dieser Pflanze führe und sie öffnen die Augen dann vor diesen mächtigen Blättern, sehen vielleicht die Blüte oder die fast reifen Bananen, das treibt manch einem die Tränen in die Augen. Das Erfahrungsfeld ermöglicht, sowohl richtig hier zu sein, als auch intuitiv hinter die Dinge zu schauen. Die Menschen haben hier bewegende Eindrücke, die schon manchen inspiriert haben, sein Leben zu ändern.

e: Auf eurer Webseite schreibt ihr, dass der Mensch die Verbindung zwischen Kosmos und Erde herstellt. Was ist damit gemeint?

WSH: Der Mensch ist ein Wesen, das aus zwei Teilen besteht, aus Erde und Kosmos, dem physischen und dem geistigen Teil. Im Erfahrungsfeld widmen wir uns ganz dem sinnlich-physischen Teil – aber der, der sich dem widmet, ist der geistige Teil. Und so scheint durch das Sinnliche das Geistige hindurch. Der Mensch kommt aus dem Kosmos auf die Erde und geht wieder in den Kosmos. Jeder Mensch hat einen Leib und trägt Geist in sich. So verbindet er naturgegeben Kosmos und Erde. Unsere Aufgabenstellung als Menschen ist es, dies bewusst zu tun.

e: Was sind die nächsten Pläne für euer Projekt?

WSH: Neben der Intensivierung der Arbeit in unserem kleinen Bildungszentrum Seedhouse streben wir den Bau des neuen »Puerto View Cultural Center« an. Auf einem zwei Hektar großen Grundstück an der südlichen Seite der Puerto Princesa Bay haben wir mit den ersten Arbeiten begonnen. Unser neues Zentrum soll in Zukunft alle unsere Aktivitäten bündeln. In unser Konzept ist das Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne als Grundlage unserer Bildungs-, Ausbildungs- und künstlerischen Aktivitäten eingearbeitet. Ich denke, das ist einzigartig an unserem Ansatz: Wir geben mit dem Erfahrungsfeld die Möglichkeit zu sehr tiefen, grundlegenden Erfahrungen, zeigen dann aber auch verschiedenste Ansätze, wie Erkenntnisse aus solchen Erfahrungen in die Lebenspraxis umgesetzt werden können.

Author:
Elke Janssen
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