Wer sich heute für das Denken stark macht, braucht gute Argumente. Scheint es doch eine der Grundüberzeugungen aufgeklärter und kritisch bewusster postmoderner Gesellschaften zu sein, dass ein Zuviel an Ratio für nahezu alle Entgleisungen der letzten hundert Jahre verantwortlich sei. Und das Bedauerliche daran ist, dass die einseitige Fokussierung auf einen bestimmten Bereich von Vernunft tatsächlich maßgeblich für viele Auswüchse ist, mit denen wir momentan kämpfen. Am offensichtlichsten zeigen sich diese in einem völlig zügellosen Kapitalismus, der aus Gründen der Profitmaximierung für eine immer kleinere Zahl von Profiteuren, die Lebensgrundlage vieler Menschen ökologisch und ökonomisch und destruiert, und zwar global. All dies folgt vermeintlich guten Gründen, für die es keine Handlungsalternativen zu geben scheint, wenn man den Protagonisten des Systems Glauben schenken will.
Alternative Ansätze betonen deshalb zu recht, dass wir aus dieser Misere nur herausfinden, wenn wir uns von den alten Paradigmen verabschieden und ganzheitlicher werden. Daher ertönt immer öfter der Ruf, wir müssten uns von der einseitigen Rationalitätsfokussierung verabschieden und uns mehr auf unsere Gefühle besinnen und diese kultivieren. Intuition und Bauchgefühl stehen hoch im Kurs. Und dagegen ist auch nichts einzuwenden, da die Intuition eine wesentliche handlungsweisende Quelle ist, die man pflegen muss.
Der Bereich der Vernunft ist deutlich weiter gefasst ist, als es das zweckrationale Denken vorgibt.
Entscheidend ist jedoch, dass wir verstehen, dass wir das eine nicht gegen das andere austauschen können, sondern, dass wir tatsächlich beide Seiten, Vernunft und Intuition bzw. Gefühl brauchen, weil beide miteinander verbunden sind. Und wir sollten verstehen, dass der Bereich der Vernunft deutlich weiter gefasst ist, als es das zweckrationale Denken vorgibt.
Wir bekommen meines Erachtens nur dann einen anderen und besseren Zugang zur Wirklichkeit, wenn wir beiden Seiten, Vernunft und Gefühl, gleichermaßen Raum geben und sie nicht gegeneinander ausspielen. Es wäre höchste Zeit, dass wir beginnen, eine empathische Vernunft zu kultivieren. Die universal ethische Forderung, „was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andren zu“, die wir in fast allen großen Kulturen finden können, begründet die Aufforderung zum Nicht-Schädigen eines anderen Wesen, indem sie Vernunft und Empathie zusammenbringt. Demnach ist es vernünftig niemanden zu schädigen, weil ich selbst nicht geschädigt werden will, da ich das schmerzhafte Gefühl kenne, das Verletzungen welcher Art auch immer hervorrufen. Wahrhaft vernünftiges Handeln, kann nicht egoistisch sein, sondern hat immer den anderen mit im Blick.
Wer Gegenwart gestalten und für die Zukunft Wegmarken setzten möchte, muss wissen, was sein soll, und was er mit welchen Mitteln erreichen will. Es geht hier nicht um Machbarkeit, sondern um Visionen, die lebbar gemacht werden können. Die Idee allein reicht jedoch nicht, es braucht immer auch eine Energie, die uns die Visionen realisieren lässt. Hinter dieser Energie steckt eine emotionale und intuitive Kraft, die uns auch dann am Ball bleiben lässt, wenn Reibungen bei der Umsetzung entstehen. Wir spüren, dass es richtig ist. Das Gegenteil ist genauso möglich: Wir spüren intuitiv, dass die Idee nichts taugt. Hier ist es höchste Eisenbahn, die intuitive Notbremse zu ziehen. Eine Gesellschaft, die aus Menschen besteht, die es gelernt haben, Vernunft und Gefühl zu synchronisieren, hat bei der Gestaltung der Gegenwart und Zukunft ein enormes Potential zur Verfügung.