Geld und Trauma

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

October 24, 2022

Featuring:
Miholyn Soon
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Issue:
Ausgabe 36 / 2022
|
October 2022
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Web3 zwischen Hype und ganzheitlicher Vision

Viele junge, technikaffine Menschen tummeln sich in der neuen Welt des Web3 mit ihren Kryptowährungen. Einige verbinden es mit dem Anliegen, dezentrale Netzwerke zu schaffen, um regenerative ökologische und soziale Projekte aufzubauen und Menschen im globalen Süden zu unterstützen. In dieser Szene ist Miholyn Soon aktiv, vermisst aber einen ganzheitlichen, traumainformierten Blick.

evolve: Wie entstand dein Interesse an der Beziehung zwischen Trauma und Finanzsystemen?

Miholyn Soon: Ein wichtiger Grund liegt darin, dass ich meinen eigenen kulturellen Hintergrund begreifen wollte. Ich stamme aus Malaysia. Meine Urgroßeltern wanderten in der Hoffnung aus China aus, in Südostasien ein besseres Leben aufbauen zu können. Ein paar Generationen weiter wuchs ich dann in Verhältnissen auf, die man als »New Money«-Kultur bezeichnen könnte. Alle Menschen in meinem Umfeld sind innerhalb einer einzigen Generation von lähmender Armut zu mehr Reichtum gelangt, als es je zuvor innerhalb einer Generation möglich war. Unter dem Blickwinkel der sozialen Mobilität und der Beseitigung von Armut verfolgen die meisten »Entwicklungs«-Initiativen Ziele, die sich einfach darauf konzentrieren, den Menschen mehr Wohlstand zu verschaffen. Aber ich habe mich immer wieder gefragt, warum die Menschen um mich herum, obwohl sie mehr Wohlstand genießen, immer noch ein extrem gestörtes Verhältnis zu Geld und zur Befriedigung ihrer emotionalen Bedürfnisse haben.

Ich sprach mit dem Finanztherapeuten Rick Kahler, der mich darauf hinwies, dass dieses Phänomen als Finanztrauma bezeichnet wird: die Art und Weise, wie sich Seelenzustand, Physiologie, Verhaltensweisen und Einstellungen eines Menschen verändern, wenn er chronischen wirtschaftlichen Stress erfährt und somit nicht in der Lage ist, seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Ein solches Finanztrauma kann sich in Form übermäßiger Ausgaben, übertriebener Sparsamkeit, riskanter Investitionen, Kreditaufnahmen und der Unfähigkeit, sie zurückzuzahlen, dem Herabschauen auf Ärmere oder auf Menschen, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind, äußern – auch wenn man selber erst einige Jahrzehnte früher dieser Situation entkommen konnte.

Seit etwa einem Jahr arbeite ich im Web3-Bereich und bin dabei von all diesen brillanten Leuten umgeben, die diese neuen Finanztechnologien dazu nutzen wollen, Gemeinschaften, die nie einen fairen Zugang zu Geld hatten, zu unterstützen. Aber ich spürte dabei auch eine enorme kognitive Dissonanz, weil es keine ernsthaften Gespräche über die Psychologie unseres Umgangs mit Geld gab. In vielen Kreisen bleibt es immer noch ein rationales, von Fachjargon geprägtes und auf technische Lösungen ausgerichtetes Thema. Ich empfand also eine Diskrepanz, die ich nicht länger ignorieren konnte, und wollte mich eingehender damit befassen.

e: Kannst du etwas genauer erklären, worum es bei dieser Diskrepanz geht?

MS: Ich liebe viele der Ideen im Web3, weil es ein Spielfeld für radikal neue Vorstellungen darüber bietet, wie wir Geld von einer Richtung in eine andere lenken können. Und ich habe in diesem Zusammenhang schon so viele positive Auswirkungen auf Gemeinschaften erlebt, die diese Technologien genutzt haben. Aber es gibt einen Denkfehler, der nach meiner Wahrnehmung noch nicht ausreichend genug aus psychologischer Perspektive betrachtet wird. Das Web3-Ökosystem ist breit gefächert, und dennoch finanzieren sich viele der darin tätigen Akteure noch immer durch den Verkauf von Krypto-Token, bei denen es sich letztendlich um hochspekulative Finanzanlagen handelt. Wer sind die Menschen hinter den Bildschirmen, die diese Vermögenswerte kaufen?

¬ WIE SIEHT EINE GESUNDE BEZIEHUNG ZU GELD AUS? ¬

Viele der aktiven Krypto-Investoren sind nicht reich und verfügen nicht über viel Kaufkraft. Studien haben gezeigt, dass Händler, die hohe Volumen handeln, eher einen Migrationshintergrund aufweisen und dass sie deutlich mehr Trauma, Stress und Isolation erleben als ihre einheimischen Kontrahenten. Wenn diese Akteure nicht wirklich wissen, wie das System oder der Markt funktioniert, sich in einen riskanten Hype einkaufen oder bereits eine Veranlagung zu riskanteren Entscheidungen mitbringen, betrachte ich das als ein schwieriges ethisches Dilemma. Es gibt keinen Schutz für sie.

Ein weiteres Gefühl der Entkopplung von der Realität entsteht, wenn die auf diese Weise generierten Mittel in sogenannte »impact-focused« (strategisch orientierte) Projekte fließen, wie z. B. Krypto-UBI (ein universelles Grundeinkommen auf Krypto-Basis) oder ein regeneratives Projekt irgendwo auf der Welt. Das ist nicht bei allen Projekten der Fall, da auch viele Projekte ein besseres Risikomanagement, z. B. durch Versicherungsmechanismen, integriert haben.

All dies wirft für mich die Frage auf: Wie sieht eine gesunde Beziehung zu Geld aus? Wie können wir Finanzdienstleistungen gestalten, die trauma-informiert sind und uns dabei helfen, sinnvolle Ziele zu verfolgen, und zu verstehen, wie wir uns in Geldangelegenheiten klug verhalten?

e: Warum, glaubst du, fühlen sich so viele junge Menschen vom Web3 angezogen?

MS: Wenn man sich die Medien anschaut, erhält man ein ziemlich hoffnungsloses Bild. Ich denke, alternative Gemeinschaften wie Web3, Game B, Meta-Moderne, Bewegungen für soziale Gerechtigkeit oder ökologische Regeneration geben den Menschen Hoffnung, dass ein anderer Weg gangbar ist. Das ist insofern gut, als es die Menschen aktiv werden lässt, statt handlungsunfähig aufzugeben. Und die Web3-Community ist durch Aktionen, Experimente und kritische Dialoge geprägt, was mir sehr gefällt. Aber ich wünsche mir auch eine ganzheitlichere Sichtweise. Ich liebe Nuancen. Wenn man etwas zu sehr auf ein Podest hebt, fällt es schwer, auch dessen negative Aspekte zu sehen – die menschliche Psyche ist so angelegt. Denn alles, was die utopische Idee infrage stellt, stört dein gesamtes Weltbild.

Aber wir können beide Realitäten gleichzeitig gelten lassen: Neue Ideen haben Potenzial – und auch Tücken. Und das ist in Ordnung. Ich finde es interessant, mich zwischen verschiedenen Gruppen zu bewegen, die absolut überzeugt vom Web3 sind, und anderen, die vehement dagegen sind. Ich begegne vielen jungen Menschen an beiden Enden des Spektrums, und ich höre mir gerne beide Sichtweisen an. Wenn wir uns dieser Bewegung differenzierter und ganzheitlicher nähern würden, gäbe es vielleicht auch weniger polarisierte Ansichten dazu.

e: Welche seelischen Fähigkeiten müssen wir deiner Meinung nach entwickeln, um uns in dieser neuen Welt besser bewegen zu können?

MS: Ich denke, dass es notwendig ist, sich mit dem Thema Trauma auseinanderzusetzen, und zwar nicht nur im Sinne psychologischer Aspekte, sondern auch alle anderen Bereiche betreffend. Es gibt nur sehr wenige Branchen und Ideen in der Welt, die »trauma-informiert« sind. Aber in einigen Bereichen wird die Bedeutung von Trauma stärker erkannt. In meinen Berliner Kreisen ist es inzwischen ein gängiges Thema. Und ich habe gesehen, dass junge Menschen in Malaysia beginnen, Wert auf das seelische Wohlbefinden zu legen, während ihre Eltern noch mehr mit dem Überleben beschäftigt waren. Ich weiß, dass sich die Werte der chinesischen Jugend ändern. Das macht mich glücklich, weil es alle Wunden aus meiner Kindheit berührt und mir sagt: »Die Dinge ändern sich. Es mag langsam gehen, ein paar Schritte vorwärts, ein paar Schritte zurück – aber es geschieht.« Und ich nehme an, dass ich selbst auch nur ein Teil dieser Welle bin. Unsere Werte werden sich ändern, wenn wir das Trauma in uns anerkennen, das die kollektive Kultur verursacht hat. Und ich hoffe, dass wir infolgedessen bessere Systeme aufbauen werden.

Author:
Mike Kauschke
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