Gott allein zu Ehren

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

October 24, 2022

Mit:
Johann Sebastian Bach
Rüdiger Sünner
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AUSGABE:
Ausgabe 36 / 2022
|
October 2022
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Über den Film »Heilige Spiele – Eine Filmwanderung zu Johann Sebastian Bach« von Rüdiger Sünner


Johann Sebastian Bach ist eine geheimnisvolle Gestalt – weil wir relativ wenig über ihn als Mensch wissen. Wir spüren in Bachs Musik den ganzen Reichtum menschlicher Gefühle, und dennoch bleibt der dahinterstehende Mensch ein Rätsel. Rüdiger Sünners Film ist eine sehr persönliche Annäherung an Bach; er selber kommt öfter ins Bild, spielt auf der Flöte das erste Musikbeispiel und ist der Erzähler seiner Filmwanderung, auf der er versucht, die Atmosphäre von Bachs Lebensstationen einzufangen: Eisenach und die Klosterschule, Weimar, Köthen und zuletzt Leipzig. Tatsächlich öffnen die Bilder der Landschaften, der Schlösser, der Kirchen und der alten Friedhöfe ein Fenster zu jener Zeit, ihrem Glauben, ihrer Art, auch in der Natur Funken Gottes zu suchen, und ihrem Umgang mit dem Tod. Und der war allgegenwärtig. Bach hat früh seine beiden Elternteile verloren, seine erste Frau starb jung, und viele seiner Kinder hat er begraben müssen.

Im Gegensatz zu heute, wo der Tod vielfach verdrängt wird, war er damals ein ständiger Begleiter. Die Friedhöfe erzählen davon mit ihren Reliefs, wie etwa ein geflügelter Totenkopf, und von einer Spiritualität, die den Tod als Teil des Lebens akzeptiert. Bach selber war nicht nur im lutherischen Glauben verankert, sondern las auch den spätmittelalterlichen Mystiker Johannes Tauler, der durch seine Nähe zum (heidnischen) Neuplatonismus einen weiteren Horizont als die Kirche erlaubte.

Hier wird einem klar, dass die Wanderung mit Bach durch sein Leben nur die Oberfläche des Films darstellt, unter der eine Tiefendimension erscheint: die Frage nach der Substanz der abendländischen Kultur. So fällt der Blick auch immer wieder auf die Gegenwart, nicht nur, wenn Sünner selber ins Bild kommt, sondern auch bei etlichen Einstellungen und vor allem beim Interview mit einem Naturwissenschaftler über die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion – ein Fremdkörper, wollte man nur den Spuren Bachs folgen, aber notwendig für die Suche nach einer spirituellen Weltsicht heute.

¬ WO LIEGT DIE QUELLE VON BACHS KREATIVITÄT? ¬

Wo liegt die Quelle von Bachs Kreativität? Bach war offenbar nie in der Versuchung, sich als Genie zu inszenieren, seine Person ins Zentrum zu stellen, sondern er blieb bescheiden, sah seine Kunst als Gottesdienst und unterzeichnete seine Partituren mit »soli deo gloria« – Gott allein zu Ehren. Die Quelle lag offenbar nicht im Ich, vielmehr im Angeschlossensein an eine höhere Ebene, wie immer man sie benennen will. Da wird der Künstler zu einem zwar hellwach reagierenden, gleichwohl nur empfangenden Mittler. Die chinesische Pianistin Zhu Xiao-Mei sieht in Bach die Reinkarnation eines chinesischen Weisen im »Handeln ohne Handeln«. Im Film wird aber auch deutlich, dass Bach kein weltabgewandter Eremit war, sondern im Leben stand, offen für seine Genüsse und als Orgelbau-Experte mit dem technischen Wunderwerk Orgel bestens vertraut.

Natürlich kommt bei der Filmwanderung die Musik nicht zu kurz. Die gelungene Verbindung von Erzählung, Bildern und Musik berührt aber auch die Frage: Was haben wir durch den technischen Fortschritt verloren? Kann die europäische Kultur jemals wieder etwas Vergleichbares hervorbringen? Vielleicht im Rahmen eines neuen spirituellen Weltbildes? Eine Frage an unsere Gegenwart könnte auch lauten: Ist es richtig, den Einzelnen, das autonome Individuum so ins Zentrum zu stellen, wie es heute oft geschieht? Wäre es nicht besser, den Menschen in Verbundenheit zu sehen mit der Natur, den Mitmenschen und den Generationen vorher, ja mit dem Kosmos? In genau diese Richtung lenkt uns der Film. Vielleicht ist es ein Irrtum des 19. und des 20. Jahrhunderts, zu glauben, der einzelne Mensch und seine Persönlichkeit seien die Quelle der Kunst.

Bachs Persönlichkeit wird ein Geheimnis bleiben, und vielleicht ist es gar nicht so wichtig, es zu lüften … Uns zu diesem Punkt zu führen, dazu allerdings ist diese Filmwanderung ein guter Weg.

Author:
Wolfgang-Andreas Schultz
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