Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
April 23, 2015
Eine Besprechung des Buches „Reinventing Organizations“ von Frederic Laloux
Wer kennt nicht die Gefühle der Machtlosigkeit, Geringschätzung und Freudlosigkeit in den immer noch weit verbreiteten hierarchischen Strukturen vieler Unternehmen? Oder die Ermüdung bei endlosen Meetings ohne Ergebnis auf der Suche nach einem Konsens, die oft in alternativen Organisationen die Kreativität der Beteiligten lähmt? Und wer hat nicht den Eindruck, dass uns der Blick auf unsere eigenen Vorteile von den anderen Menschen und vom Leben selbst trennt? Das Gute an einer solchen Situation ist, dass die Notwendigkeit einer radikalen Neuorientierung immer mehr Plausibilität gewinnt. Das erklärt vielleicht, warum Frederic Laloux‘ Buch „Reinventing Organizations“ zu einem bemerkenswerten Phänomen wurde. Selbst finanziert, verkaufte sich die englische Ausgabe binnen Wochen zehntausend Mal. Bald bildete sich eine Community um das Buch. Mittlerweile wird es in viele Sprachen übersetzt, darunter auch ins Russische und Koreanische. Meine Beziehung zu diesem Buch ist eine besondere, da ich die deutsche Übersetzung, die im April beim renommierten Wirtschaftsverlag Vahlen erscheint, machen durfte. Es war eine Arbeit, die meinen Blick auf die Wirtschaft und den Menschen verändert hat.
Unternehmen sind keine Profitmaschinen, sondern lebendige Systeme, die Teil eines größeren Prozesses sind.
Frederic Laloux arbeitete als Unternehmensberater zunächst bei McKinsey und dann als selbstständiger Berater. Im Laufe der Zeit war er von der seelenlosen Kultur in vielen Unternehmen frustriert. Er fragte sich: Könnte Zusammenarbeit nicht auch ganz anders möglich sein? Inspiriert von der integralen Theorie Ken Wilbers wurde für Laloux deutlich, dass jede Stufe unserer Entwicklung mit einer eigenen Organisationsform einhergeht und jeder Wandel des Bewusstseins auch die Art unseres Zusammenarbeitens verändert. Aber wie würde dann eine Organisation aussehen, die aus einem integralen Bewusstsein geführt wird? Und gibt es solche Unternehmen schon? Wenn ja, wie arbeiten sie? Sind sie konkurrenzfähig? Wie zufrieden sind ihre Mitarbeiter. Mit welchen Führungsstrukturen und Prozessen arbeiten sie?
Nun, das sind einige der Fragen, mit denen sich Laloux auf eine zweijährige Recherche begab, und Organisationen suchte und fand, die aus einem neuen Bewusstsein und neuen Werten arbeiten. Insgesamt werden in „Reinventing Organizations“ zwölf dieser Unternehmen vorgestellt. Die Größe der Unternehmen variiert zwischen mehreren Zehntausend und Hundert Mitarbeitern; genau so unterschiedlich sind auch die Bereiche, in denen sie tätig sind: ein Unternehmen für mobile Krankenpflege in Holland, ein Automobilzulieferer in Frankreich oder ein globaler Kraftwerksbetreiber – in Deutschland werden die Kliniken Heiligenfeld und die Evangelische Schule Berlin Zentrum porträtiert. All diese Unternehmen zeigen erstaunliche Ähnlichkeiten in Struktur und Verständnis des Wirtschaftens und der Mitarbeiterführung. Laloux war überrascht, diese Gemeinsamkeiten in Unternehmen zu finden, die in so unterschiedlichen Zweigen arbeiten und nichts voneinander wussten. Für ihn ein Indiz dafür, dass es sich hier um eine neue Form der Organisationsführung handelt, die mit einer neuen Bewusstseinsstufe einhergeht. Im Buch werden Strukturen, Prozesse und Kultur dieser „evolutionären Organisationen“ untersucht und „drei Durchbrüche“ formuliert, die sie von bisherigen Arbeitsmodellen unterscheiden. Das erste Merkmal ist Selbstführung, die Arbeit wird in selbstverantwortlichen Teams organisiert. Als zweites ist in diesen Unternehmen Raum für „Die Suche nach Ganzheit“, d. h. die Mitarbeiter werden als Menschen in ihrer Ganzheit gesehen, mit persönlichen, professionellen und spirituellen Bedürfnissen. Daraus entstehen neue Formen der Konfliktbewältigung und Mitarbeiterführung. Der dritte Durchbruch besteht darin, dass diese Organisationen „auf den evolutionären Sinn hören“. Unternehmen sind also keine Profitmaschinen, sondern lebendige Systeme, die Teil eines größeren Prozesses sind, in dem sie ihren Beitrag zum Wohle des Ganzen leisten können.
Die Stärke des Buches liegt dabei darin, dass hier kaum theoretische Überlegungen referiert, sondern vor allem Erfolgsbeispiele in der Praxis vorgestellt werden. Was mich beim Lesen bzw. Übersetzen am meisten bewegt hat, war das Vertrauen in den Menschen, das in diesen Organisationen gelebt wird. Ein Vertrauen in den natürlichen Wunsch des Menschen, kreativ, eigenständig, selbstverantwortlich mit der eigenen Arbeit zur Entfaltung des Lebens beizutragen. Und ein Vertrauen in den Lebensprozess selbst, der uns durch die Entwicklung unseres Bewusstseins trägt und nun in einer neuen Form von Zusammenarbeit zum Ausdruck kommen kann.