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Aktivistische Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion sind in gewissem Sinne aktuelle Heimatbewegungen. Sie rufen nach einem Bewusstsein für die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen, aber auch nach neuen Formen demokratischen Gestaltens. Die moderne Weltsicht der Trennung wird dabei häufig für einen Blick der Verbundenheit geöffnet, der uns auch Heimat neu verstehen und erfahren lässt.
Die Bilder gehen um die Welt. Überall auf der Erde finden sich junge Menschen und zunehmend auch alle Generationen zusammen, um ein wirksames Handeln gegen den Klimawandel einzufordern. In europäischen Städten legen Aktivisten den Verkehr lahm, treffen sich an öffentlichen Plätzen zur Meditation oder zum gemeinsamen Singen und zu Bürgerversammlungen. In Berlin ist ein Camp in der Nachbarschaft des Bundeskanzleramts zu einer vorübergehenden Heimat für Aktivisten geworden, dort finden Vorträge, Konzerte, Gesprächsrunden und Workshops statt. Diese weltweiten Initiativen bilden eine globale aktivistische Bewegung. In gewisser Weise könnte man hier auch von einer neuen, globalen Heimatbewegung sprechen, die über den Gegensatz von progressiv und konservativ hinausgeht.
Der Bezug zu Heimat wird oft davon bestimmt, ob wir die Heimat als etwas Gegebenes sehen, das bewahrt werden muss, oder etwas, das wir erst schaffen müssen bzw. können, eine Utopie, eine Zukunftsvision. Die Bewegung der Fridays for Future und Extinction Rebellion und ähnlicher aktivistischer Bewegungen im Zeichen eines »subtilen Aktivismus«, von »Defend the Sacred« bis »Rebell*innen des Friedens«, scheinen diese beiden Orientierungen zu verbinden. Sie weisen auf die Heimaten hin, die bewahrt werden sollten, indem wir unseren Einfluss auf die Biosphäre so verändern, dass das Klima in einem Rahmen gehalten werden kann, der nicht unsere Lebensgrundlagen gefährdet, und der auch unseren Mitlebewesen ein Weiterleben ermöglicht. Dies ist in gewissem Sinne ein konservatives, bewahrendes Anliegen, ganz im Sinne der Bewahrung der Schöpfung. Parteien, die sich eigentlich christlichen Grundwerten verpflichtet fühlen, verbinden hingegen heute eine konservative Haltung vor allem damit, die Wirtschaft oder Arbeitsplätze und letztlich Wählerstimmen und den Status quo »zu bewahren«.
Die ökologischen Protest- und Alternativbewegungen sind aber gleichzeitig auch progressiv in dem Sinne, dass sie von einer Utopie einer menschlichen Kultur geprägt sind, die zu einem respektvollen und mitfühlenden Umgang mit der natürlichen Mitwelt findet. Dazu gehören auch andere demokratische Prozesse und Formen des Zusammenlebens, wie sie beispielsweise bei den Bürgerversammlungen von Extinction Rebellion oder in vielen Gemeinschaftsprojekten wie Schloss Tempelhof oder Sulzbrunn experimentell erprobt werden. Diese Utopie zielt auch auf einen anderen Umgang mit Heimat und vor allem auch auf ein anderes Grundverständnis von Heimat.
Eine neue Geschichte
In den letzten Wochen hatte ich die Gelegenheit, einige Impulsgeber solch eines neuen Verständnisses von Heimat bei Veranstaltungen zu treffen: den Leiter der Schweisfurth Stiftung Franz-Theo Gottwald, den Biologen Andreas Weber und den ökologischen Vordenker Charles Eisenstein. Sie alle treten auf je eigene Weise für einen anderen Bezug zur lebendigen Welt ein. Vereinfacht zusammengefasst kann man von »einer Kultur der Verbundenheit mit der natürlichen Welt« sprechen, wie unser evolve Live Dialogtag in München mit Franz-Theo Gottwald betitelt war. Damit wird angesprochen, dass die ökologische Krise, in die wir uns manövriert haben, aus einer Bewusstseinsverfassung und einer kollektiven Geschichte der Trennung entstand. Die Wurzeln dieser Trennung liegen in der Moderne mit ihren Errungenschaften eines rationalen, getrennten individuellen Bewusstseins und einer Technik, durch die wir aus dieser Trennung von der Natur unsere Umwelt umgestalten, ausbeuten und uns zu eigen macht. Diese Gestaltungs- und Zerstörungsmacht hat uns den Weg ins Anthropozän geebnet, das Menschenzeitalter, in dem unser Einfluss den Planeten bestimmt.
Der Klimawandel und alle anderen ökologischen Herausforderungen führen uns vor Augen, dass diese Geschichte an ihr Ende kommt, an ihr Ende kommen muss. Wir müssen eine neue Geschichte finden, die uns auch anders mit der Natur umgehen lässt – nach dieser neuen Geschichte rufen die aktivistischen Bewegungen und die genannten ökologischen Ideengeber. Und kurz gefasst kann man sie als eine Geschichte der Verbundenheit bezeichnen. Wie würden wir leben und handeln, wenn wir uns als zutiefst verbunden mit der Erde, dem Lebendigen, unseren Mitlebewesen erfahren würden? Und aus dieser Erfahrung unsere Wirtschaft, unsere Politik, unser individuelles und soziales Leben (inklusive Konsumverhalten) umgestalten würden?
Wie wir Heimat verstehen, hängt auch davon ab, in welcher Geschichte, welchem Narrativ wir leben.
Umdenken, Umfühlen, Umhandeln
Dieser Wandel von der Trennung zur Verbundenheit betrifft auch zutiefst unsere Beziehung zu Heimat. Denn wie wir Heimat verstehen, hängt auch davon ab, in welcher Geschichte, welchem Narrativ wir leben. Wenn wir heute über Heimat sprechen, klingt darin oft die Bewusstseinshaltung der Trennung durch, und das nicht nur bei rechtslastigen Populisten; Heimat als etwas Trennendes, etwas Ausschließendes: ›Wenn dies meine Heimat ist, dann kann es nicht deine Heimat sein‹ oder ›Ich muss meine Heimat gegen andere verteidigen, andere daraus abgrenzen. Meine eigene Heimat bewahren, notfalls mit Grenzziehung und im Extremfall mit Schießbefehl.‹ Trumps Mauer zu Mexiko ist für diese Haltung ein beredtes Beispiel.
Der Klimawandel aber zeigt uns, dass diese Trennungen unsere Heimat nicht mehr werden bewahren können. Überall auf der Welt werden Heimaten davon betroffen sein bzw. sind schon betroffen, da hilft keine Mauer. In gewissem Sinne kommt hier der Klimawandel der Geschichte der Verbundenheit zu Hilfe, oder besser gesagt fordert er solch ein Umdenken, Umfühlen, Umhandeln.
Aus einem Blick der Verbundenheit besteht unsere Erde aus Heimaten, jeder Lebensraum dieses Planeten ist Heimat für Lebewesen und jedes Land dieser Erde auch Heimat für Menschen. Ein Blick aus der Ganzheit der Verbundenheit sieht also die eigene Heimat, den Ort, den man gerade als Heimat empfindet, in Verbindung zu allen Heimaten dieser Erde. Daraus folgt ein Handeln, das nicht nur die eigene Heimat bewahren will, sondern alle Heimaten auf dem Planeten. Denn es ist ja auch offensichtlich, dass unsere Lebensweise anderswo Heimaten zerstört. Unser Konsum verbraucht Rohstoffe, deren Gewinnung Orte dieser Welt unbewohnbar macht, unser Wirtschaftssystem zerstört regionale Ökonomien und entwurzelt so die Menschen oder mit unseren Waffen werden Kriege geführt, die Heimaten zu Schreckensorten machen. Dass die betroffenen Menschen dann zu uns kommen, um neue Heimat zu suchen, ist nicht verwunderlich.
Solch ein Blick der Verbundenheit öffnet sich hinein in eine integrale Sicht einer Koexistenz, einer Ko-kreation von Heimat. Weil es Heimat im Singular in einer globalisierten Welt nicht mehr geben kann. Wir alle leben in Ko-Heimaten, jede Heimat existiert und entfaltet sich oder verdorrt in Wechselwirkung mit anderen Heimaten.
Jede Heimat existiert und entfaltet sich oder verdorrt in Wechselwirkung mit anderen Heimaten.
Matrix der Grenzen
In einem Vortrag zum Thema Allmende erklärte Andreas Weber kürzlich, dass unser Umgang mit der Natur auch auf unsere Besitzverhältnisse und unsere Idee von Besitz zurückzuführen ist, die eng mit der Weltsicht der Trennung zusammenhängen. Ein Thema, das ich kürzlich im Zusammenhang mit unserer Ausgabe zum Thema Geld auch mit einem Künstler diskutierte, der an einem Projekt zu einer »Gesellschaft ohne Eigentum« forscht. Wir denken ja oft gar nicht darüber nach, inwieweit unser Leben von der Idee des Privatbesitzes geprägt ist. Unsere Wirtschaft basiert darauf. Und sicher hat diese Besitzform auch immense wirtschaftliche Kreativität, individuellen Wohlstand und kulturelle Entwicklung hervorgebracht. Aber durch diese Besitzaufteilung ziehen wir eine künstliche, instrumentelle Matrix von Grenzen in eine Natur ein, die diese Grenzen nicht kennt. Wir teilen die uns als Schöpfung gegebene Welt auf, errichten Zäune, Grenzen und Mauern und nennen das, was innerhalb der Grenzen ist, »meins«. Uns gehört ein Stück Land. Und im Geiste der Trennung ist alles, was jenseits der Grenze ist, nicht meins, gehört anderen. Nun muss ich also meinen Besitz pflegen, vermehren und verteidigen. Egal, ob das Innere der Grenzen meine (wenn auch nur gemietete) Wohnung, mein eigenes Grundstück, meine Region, mein Bundesland oder meine Nation ist. In diesem Denken kann dort, wo meine Heimat ist, aber nicht die Heimat eines anderen sein. Und ich trage Verantwortung nur für den Bereich innerhalb meiner Grenzen.
Andreas Weber stellt diesem territorialen Denken der besitzenden Trennung die Perspektive der globalen Allmende entgegen. Dies ist ein altes Wort aus dem bäuerlichen Kontext und bezeichnete Land, das die Bewohner eines Dorfes gemeinsam nutzen konnten, ein Gemeindegut; ein Beispiel für gemeinsame Heimat. Heute werden der Begriff Allmende und Worte wie Commons und Gemeingut benutzt, um Möglichkeiten des gemeinsamen Besitzrechts anzusprechen bzw. darauf hinzuweisen, dass Privatbesitz an Boden ein künstliches Konstrukt ist. Weber begann seinen Vortrag beim Atem. Die Luft, die wir atmen, können wir nicht besitzen. Sie wird uns geschenkt, von der Biosphäre. Wenn wir atmen, nehmen wir Elemente der Natur in uns auf, die im Lebensprozess der Bäume entstehen. Die Bäume nehmen unsere Atemluft in sich auf. Diese innerste Wechselwirkung gilt auch für das, was wir trinken und essen. Selbst für das, was wir denken und fühlen. Und wenn Sie und ich nebeneinandersitzen, atmen wir uns gegenseitig. Wir leben ständig in einer wechselwirkenden Verbundenheit, die Grenzen von ich und dem Anderen nicht in ausschließender Form kennt. Ganz real, in diesem Moment bin ich die ganze Welt, bestehe aus Elementen, die schon an vielen Orten und in vielen Zeiten dieser Erde und dieses Kosmos gelebt haben, bis hin zum fernen Sternenstaub aus dem die Moleküle meines Körpers entstanden.
Jeder Ort, jede Heimat ist also immer durchdrungen von ganz vielen anderen Heimaten dieses Planeten. Eine Geschichte der Verbundenheit wird auch unsere Erfahrung von Heimat in dieses Geflecht und Gewebe mit einbeziehen. Dann sehen wir die Heimat, aus der wir kommen oder in der wir leben, als verknüpft mit der ganzen lebendigen Erde an und wissen, dass diese Heimat nicht erblühen kann, wenn nicht auch alle anderen Heimaten erblühen. Wir sehen, dass wir unsere Heimaten nur schöpferisch miteinander gestalten können, ohne ein Gegeneinander, eine Konkurrenz der Heimatorte. Und dass wir jeden kleinen Ort der Heimat nur dann wirklich pflegen, bewahren und entwickeln können, wenn wir ihn im Kontext der umfassenden Heimat erleben, verstehen und gestalten: der Erde, unserem Heimatplaneten.
Unser gemeinsames Haus
Kürzlich kam ich auf einer Wanderung an einer Kirche vorbei, in der man ein »Fest der Schöpfung« feierte, bei der eine Erdkugel als großer Ball in die Kirche gerollt wurde, während in einem szenischen Gottesdienst verschiedene Akteure der Trennung (so würde ich sie bezeichnen) ihren Besitz- und Machtanspruch auf die Erde formulierten: die Wissenschaft, das Militär, die Wirtschaft, die Politik. Bis dann die Erde selbst zu Wort kam. Vielleicht ist das heute unsere wichtigste Heimataufgabe: die Erde selbst zu Wort und zu Wirkung kommen zu lassen. Genau das ist es, was Fridays for Future und Extinction Rebellion motiviert; dass sie dabei manchmal vielleicht übers Ziel hinausschießen oder dogmatisch werden, tut der Bedeutung dieses Anliegens keinen Abbruch.
Am Ausgang der Kirche lag die Enzyklika des Papstes Franziskus aus dem Jahre 2015, »Laudato si: Die Sorge für das gemeinsame Haus«. Ja, die Erde ist unser gemeinsames Haus, unsere Heimat. In der Enzyklika steht: »Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, praktisch umzusetzen, gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben, sie ist weder etwas Fakultatives noch ein sekundärer Aspekt der christlichen Erfahrung.« (Vielleicht hätte den Vertretern der CDU/CSU vor den Verhandlungen über das Klimapaket diese Lektüre gutgetan.) An unserem evolve Live Dialogtag in München kamen wir mit Franz-Theo Gottwald mit Hinblick auf die Kultur der Lebendigkeit auf die Frage: Wie gebe ich und wie geben wir gemeinsam dem Lebendigen eine Stimme?
Ein verbundenes Verständnis von Heimat bezieht sich ja nicht nur auf die natürliche Verbundenheit mit dem Leben, sondern hat auch eine soziale Dimension. Wir als Menschen sind die eine Familie, die im Haus dieser Erde lebt. Ein Heimatverständnis aus der Verbundenheit weiß und fühlt, dass wir selbst uns nicht wirklich heimisch fühlen können, solange irgendjemand auf dieser Welt keine Heimat hat. Wir gemeinsam als Weltbürger und Erdenwesen müssen und können die Heimaten dieser Erde bewahren und gestalten, sodass überall Heimat möglich und wirklich wird.
Revolution der Liebe
Natürlich ist das eine Utopie. Sie beginnt mit dem Bewahren unserer Natur aber auch mit dem Bewahren unserer Menschlichkeit in Zeiten der Digitalisierung und Konfrontation. Gleichzeitig sehen wir, dass sich in einem neuen mitschöpferischen Denken, Fühlen, Leben und Handeln ein neues kulturelles Potenzial zeigt, das mehr sein wird, als die Summe seiner Teile. Was ich damit meine ist, dass wir als Menschen ungeahnte schöpferische Kräfte entdecken können, wenn wir nicht so immens viel psychische Energie damit verbrauchen, uns abzugrenzen und unseren Besitz zu schützen. In der kreativen Wechselbegegnung mit dem Lebendigen in all seinen Formen und mit anderen Menschen können wir uns zusammen neu beheimaten und auch das, was Heimat bedeuten kann, in eine neue Offenheit führen.
Wir verstehen, erfahren und entwickeln uns als Menschen neu, wenn wir dem Lebendigen einen unumstößlichen Wert geben. Davon ist der Ethiker Claus Eurich überzeugt, der gerade eine Initiative begonnen hat, die Lebensrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. In diesem umarmenden Blick von Mensch und Lebendigem wird auch Heimat zu etwas, das wir allen Lebewesen zugestehen: Du darfst dich auf dieser Erde beheimaten, so wie ich mich beheimaten kann. Gemeinsam finden wir Heimat in diesem Haus der Erde. Und wir als Menschen tragen Verantwortung für das ganze Haus, nicht nur für ein Stockwerk, einen Raum oder eine Ecke. Das bedeutet aber auch, dass sich diese Sorge um das Ganze immer im ganz Konkreten unserer tatsächlichen, lokalen Lebensbezüge zeigt.
Am Grunde dieser Bewegung der Verbundenheit liegt … vielleicht die Liebe. Charles Eisenstein sprach bei einem Dialogevent in München von der Notwendigkeit einer »Revolution der Liebe«. Ein ökologisches Umdenken werde nicht (nur) aus rationalen Argumenten oder überwältigenden Fakten und sicher nicht aus angstmachenden Vorwürfen oder Schuldzuweisungen kommen, sondern aus dem gespürten, berührten Mitsein – Interbeing – mit der Schöpfung: eine in uns als Menschheit immer mehr zu entwickelnde Empfindungskraft.
Im Grunde ist diese Kultur der Verbundenheit die Verwirklichung einer schöpferischen Liebe, einer Liebe zum natürlichen Lebendigen, zu den Menschen und ihrem Entwicklungspotenzial – und zu dem Geheimnis, das uns alle übersteigt, uns trägt und zutiefst meint. In dieser Liebe wird alles zur Heimat, sie wird zur Heimat des Lebens, das sich darin selbst erkennt und ihren wahren Kern offenlegt: dass wir als Menschen Ausdruck und Mitgestalter eines lebendigen Kosmos sind. In solch einem Bewusstsein kann jeder Schritt ein Weg in die Heimat sein, die immer nur einen Atemzug weit entfernt ist. Würde uns dann jemand fragen, »Wo gehen wir hin?«, könnten wir mit Novalis, dem »Neuland Bestellenden« sagen: »Immer nach Hause.«
Author:
Mike Kauschke
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