Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
October 19, 2016
Eines der ersten spirituellen Bücher, das ich vor vielen Jahren gelesen habe, war »Aurora oder Die Morgenröte im Aufgang« von Jacob Böhme. Auf ihn gestoßen war ich durch die Werke der Frühromantiker wie Novalis und Ludwig Tieck, für die er eine Art spiritueller Meister war – so würden wir das wohl heute sagen. Als ich in dem Taschenbuch las, verstand ich so gut wie nichts. Für jemanden, der ohne Religion erzogen wurde, war mir die Welt, die sich da auftat, doch sehr fremd. Böhme sprach von Gott und Teufel, von Engelwesen, von den verborgenen Kräften der Natur. Aber trotzdem las ich gebannt weiter. Es war, glaube ich, eine bestimmte Atmosphäre, die von Böhmes Worten ausging, die vielleicht mit einem Wort von Novalis am besten umschrieben ist: »Alles Sichtbare ist ein in einen Geheimniszustand erhobenes Unsichtbares.« Oder wie Böhme selbst schrieb: »Wenn wir betrachten die sichtbare Welt mit ihrem Wesen, und betrachten das Leben der Creaturen: so finden wir daran das Gleichniß der unsichtbaren geistlichen Welt, welche in der sichtbaren Welt verborgen ist, wie die Seele im Leibe, und sehen daran, daß der verborgene Gott allem nahe und durch alles ist und dem sichtbaren Wesen doch gantz verborgen.«
Jacob Böhme, der von 1575 bis 1624 lebte, war eine der prägenden Gestalten der deutschen Mystik. Er lebte als Schuster in Görlitz, und durch eine spirituelle Erfahrung öffnete sich ihm ein inneres Auge, ein innerliches Schauen. In der Folge verfasste er eine ganze Reihe von Schriften, die sich erst unter Bekannten und Gleichgesinnten verbreiteten, aber immer mehr Aufmerksamkeit erregten, bis auch die Kirche davon erfuhr und ihn mit einem Schreibverbot belegte. Böhmes Werk wirkte weit über seinen Tod hinaus und hat immer wieder Philosophen und spirituelle Denker inspiriert, darunter auch Hegel, Hesse oder eben die Romantiker. Heute ist er nur noch in kleinen Kreisen bekannt, kein Wunder, denn seine Sprache und seine Sicht der Welt stammen aus einer anderen Zeit. Trotzdem sind viele seiner Einsichten auch heute relevant oder erneut wichtig.
Dieser Ansicht sind wohl auch die Macher des Films »Morgenröte im Aufgang«, der soeben in der filmedition suhrkamp erschienen ist. Der Film ist als eine »Hommage à Jacob Böhme« gedacht. Über Böhmes Lebensumstände und Werdegang erhält man nur kurze Notizen am Anfang und Ende des Films, ansonsten hört man vor allem Böhme selbst sprechen, bzw. Zitate aus seinen Werken. Minimalistisch werden diese Texte mit dem Darsteller Klaus Weingarten inszeniert, der den innerlichen Prozessen, der inneren Schau, über die Böhme schreibt, eine visuelle Erdung gibt. Man sieht sein Gesicht in Nahaufnahme, ihn durch die Natur gehen, am Schreibtisch sitzen, oft regungslos oder schreibend im Rhythmus mit den eindringlich gesprochenen Texten. Der Film bewegt sich damit außerhalb gängiger Kategorien, er ist weder Spielfilm noch Dokufilm, vielleicht könnte man ihn als Hörfilm bezeichnen, als Spürfilm oder als eine filmische Meditation. Man muss wohl alle Erwartungen an einen Film loslassen, um sich auf die Magie der Sprache Böhmes einzulassen, die durch die filmischen Bilder nur leicht skizziert werden. Aber eben durch die Kraft der Worte, die Böhme in der Überzeugung aufschrieb, sie kämen aus dem Licht des Göttlichen in ihm, wird man im Laufe des Films in einen Sog gezogen. Es vermittelt sich das tiefe Schauen der Natur, das Böhme zu einem »Naturmystiker« machte, der überall das Wirken Gottes sah. Und man spürt sein inneres Ringen um Hingabe, Demut und Offenheit für das göttliche Licht und mit allem in ihm, was es zu verdecken droht.
Geradezu modern ist sein Bestehen darauf, dass jeder von uns selbst in das Geheimnis Gottes schauen kann und keine äußeren Autoritäten braucht. Oder wie er es selbst formuliert: »In meinen eigenen Kräften bin ich so ein blinder Mensch als irgend einer ist, und vermag nichtes; aber im Geiste Gottes siehet mein ingeborner Geist durch Alles, aber nicht immerdar beharrlich; sondern wenn der Geist der Liebe Gottes durch meinen Geist durchbricht, alsdann ist die animalische (seelische) Geburt und die Gottheit ein Wesen, eine Begreiflichkeit und ein Licht. Nicht bin allein Ich also; sondern es sind alle Menschen also, es seyn gleich Christen, Juden, Türcken oder Heiden, in welchem die Liebe und Sanftmuth ist, in dem ist auch Gottes Licht.«
Solche Worte Böhmes von zeitloser Wahrhaftigkeit, die in »Morgenröte im Aufgang« die eigentliche Hauptrolle spielen, wirken noch lange nach. Für manche wird der Film zu wenig ergänzenden Kontext und visuelle Umsetzung zeigen, wer sich aber tief auf die Bilderwelt, die in Böhmes Sprache selbst zum Ausdruck kommt, einlassen will, für den ist dieser Film ein Erlebnis.
¬ Geradezu modern ist Böhmes Bestehen darauf, dass jeder von uns selbst in das Geheimnis Gottes schauen kann. ¬