Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
October 29, 2014
Vor einiger Zeit war ich in einem Konzert von „Moving Sounds“ mit Markus Stockhausen und Tara Bouman im Bonner Münster. Musik als solche ist ja schon beinahe eine spirituelle Erfahrung. Kaum etwas gibt es in dieser Welt, was so gar nicht von dieser Welt ist: sie enthält nichts, was uns normalerweise umgibt, keine Farben, keine Worte (meistens jedenfalls), keine Objekte oder Inhalte unseres Alltagsbewusstseins. Und umgekehrt liegen die Töne der Musik und ihre ganzzahligen Harmonien in der Natur nicht als Gegebene vor (mit Ausnahme vielleicht des Vogelgesangs), das natürliche Geräusch muss erst zum Ton gereinigt werden. Musik ist reine Beziehung – Goethe schrieb einmal: „Die Würde der Kunst erscheint bei der Musik vielleicht am eminentesten, weil sie keinen Stoff hat, der abgerechnet werden müsste. Sie ist ganz Form und Gehalt.“ Und zugleich ist Musik doch ganz von dieser Welt. Sie ist „heilig und profan“, so wiederum Goethe, und das „Heilige“ in ihr erfüllt unsere Ohren und umgibt uns ganz sinnlich und konkret.
Markus Stockhausen und Tara Bouman improvisieren. Auf ihren Trompeten und Klarinetten lassen sie Musik unmittelbar entstehen, aus der Situation, im Zuhören und im Gespräch miteinander. Dadurch bekommt die Musik eine Unmittelbarkeit und Präsenz, die bei komponierter Musik, die man zudem oft bereits kennt, kaum herzustellen ist. Improvisierte Musik ist nicht nur reine Beziehung, sondern auch im Moment entstehende Beziehung, zwischen den Musikern, mit dem Publikum und dem Raum. Markus Stockhausen nennt seine Improvisationen „Intuitive Musik“, weil sie sich nicht auf irgendwelche Vorgaben, Muster, Harmonien stützt, sondern intuitiv, ganz aus der Geistesgegenwart heraus entsteht.
Musik als solche ist ja schon beinahe eine spirituelle Erfahrung.
Und dann gab es in diesem Konzert einige Minuten, die an die Grenzen des Musikalischen heranführten. Sie hatten etwas Archaisches und zugleich etwas ganz Zukünftiges. Markus Stockhausen forderte uns auf, für einige Minuten die Augen zu schließen und nur dem Klang eines kleinen Beckens zu lauschen, das er, an einem Lederbändchen in der einen Hand haltend, mit einem kleinen Schlägel anhaltend anschlug. Es gäbe eine ganze Menge zu hören, hatten wir vorab erfahren. Und tatsächlich: nicht nur die Ohren erfüllten sich mit dem Klang, nicht nur der Kirchenraum – nach und nach begann alles zu klingen. Plötzlich klang nicht mehr nur das Becken. Es stellten sich Klänge ein, die nicht von dem Becken kommen konnten und die doch unzweifelhaft da waren, wenn man sie auch nicht lokalisieren konnte. Freilich, das mussten Resonanzen sein, die der Beckenklang im Raum erzeugte, vielleicht durchzogen von Nachklängen, die das Ohr produziert. Und doch lag jenseits solcher Erklärungen ein Erlebnis von Weltenklang, von Resonanz, von Harmonie, die nicht nur innerhalb der Musik leben, sondern die ganze Welt durchziehen. „Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“, so hatte Eichendorff es mit Bezug auf die Worte der Dichtung formuliert. Hier war es das anhaltende Anschlagen des Beckens und die anhaltende Aufmerksamkeit der Zuhörenden, die den Gesang der Welt freisetzte.
Mich erinnerte dieses Erlebnis an Erfahrungen in der Meditation, insbesondere in der anthroposophischen Meditation, die ja weniger auf die Erfahrung von Leere oder Einheit gerichtet ist als eben auf das in die Welt hineingeheimnisste Zauberwort. Die meditative Verrichtung bringt meinen seelisch-geistigen Menschen zum Schwingen, so wie im Bonner Münster das Becken zum Schwingen gebracht wurde. Und ganz allmählich gelangt die Welt in Resonanz, fängt sie an zu singen und Wesen und Sinn dessen, worauf ich mich in der Meditation gerichtet habe, wird vernehmbar.
Die geistigen Ohren, um solche Resonanzen zu vernehmen, muss ich erst entwickeln. Man kann das üben an Weltinhalten, die es einem leicht machen, zum Beispiel am Licht oder an der Wärme. Rudolf Steiner empfiehlt auch Naturvorgänge wie das Aufblühen und Verwelken einer Pflanze. Hat man den Weg aber einmal gefunden, kann man eigentlich alles meditieren: der Landwirt die Gemüsesorten, der Lehrer die Schicksale seiner Schüler, der Arzt die Krankheitsbilder. Das Wesen des Geldes, des Computers, des Todes. Alles Profane kann auf diesem Wege heilig, geheiligt werden.
Auch die Musik. Das war bei den Improvisationen von Markus Stockhausen und Tara Bouman eindrücklich erlebbar.