Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
October 19, 2017
Mit dem Pocket Project wollen der österreichische spirituelle Lehrer Thomas Hübl, die israelische Künstlerin YehuditSasportas und andere Therapeuten, Berater und Aktivisten Räume in den unterschiedlichen Kulturen der Welt schaffen, in denen sich das Trauma einer Region zeigen kann. So kann ihrer Meinung nach ein Prozess der Heilung initiiert werden, der heute dringend notwendig ist, um auf die globalen Krisen mit Kreativität und Offenheit für neue Möglichkeiten zu antworten.
Die Zeichnungen der bekannten israelischen Künstlerin Yehudit Sasportas schaffen Räume, die sie als »stumme Landkarten« bezeichnet, um Informationen ans Licht zu bringen, die in einer Kultur unterdrückt werden. Ihre Installationen ermöglichen dem Betrachter, das Ungesehene und Unausgesprochene eines Ortes zu sehen – indem man tatsächlich in das Gebäude der Ausstellung eintritt, lädt Sasportas die Menschen ein, die Grenze zwischen dem, was allgemein akzeptiert ist, und dem, was darunter liegt und unausgesprochen ist, zu überschreiten. Ihr Partner, der spirituelle Lehrer Thomas Hübl, arbeitet seit vielen Jahren mit Menschen und großen Gruppen in der ganzen Welt an der Entwicklung des Bewusstseins und der Integration. Oft findet er in der individuellen Psyche und in der Gruppen-Psyche eingefrorene Überreste des Unsagbaren, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und die aufgetaut werden müssen, damit eine tiefere Integration möglich wird. In verschiedenen Gruppen, die er in den letzten 15 Jahren lehrte, beobachtete er wiederkehrende Ausbrüche kollektiven Traumas. Dies hat ihn dazu geführt, diese Dynamiken zu untersuchen und die kollektiven Trauma-Inhalte aus einer neuen Perspektive zu erforschen. Die beiden, die Künstlerin und der kunstvolle Mystiker, der die Evolution des Bewusstseins erforscht, sind Partner im Leben und auch in einer neuen Initiative für kulturelle Heilung: dem Pocket Project.
»Vor zwei Jahren wurde mir durch einige Gespräche mit Thomas und verschiedene Vorträge, die ich in Zusammenhang mit meiner Kunst gehalten habe, klar, dass es zwischen der Arbeit von Thomas und meiner künstlerischen Arbeit eine interessante Überschneidung gab.« Sie schlug ihrem Mann vor, zusammen das Pocket Project ins Leben zu rufen. »Für mich ist es eine große Überraschung, auf welche Resonanz dieses Projekt gestoßen ist«, sagt sie heute.
Für Thomas Hübl war es der Beginn einer neuen Phase seiner Arbeit und der Anfang einer neuen globalen Organisation. »Momentan läuft im Rahmen des Pocket Project das erste Trainingsprogramm mit Menschen aus 39 Ländern«, erklärt er. »Es sind über 150 Menschen, die auf ihre Weise schon kultur-aktiv arbeiten, wobei viele von ihnen einen therapeutischen Hintergrund haben. Wir wollen global in verschiedenen Ländern Pockets schaffen, also Räume, in den unterschiedlichen Kulturen, die sich mit dem kollektiven Trauma-Material dieser Region auseinandersetzen.«
Es ist ein gewagtes Experiment, das heute relevanter nicht sein könnte. »In den letzten Jahrzehnten wurden viele wirksame Methoden der individuellen Therapie für traumatische Erfahrungen entwickelt. Aber wir haben im Prinzip kaum Methoden, um als Kultur durch solch einen Prozess zu gehen.« Wie können wir auf kollektiver Ebene so tief arbeiten? Was ist kulturelle Heilung? Die Gründer des Pocket Project erforschen neue und kreative Wege, um das Wissen über individuelle Heilung in ein globales Netzwerk zu verwandeln.
Die Trennungslinie zwischen dem Individuum und der Kultur hat sich seit den Tagen Sigmund Freuds verwischt. In seiner pessimistischen Reflexion über die westliche Kultur »Das Unbehagen in der Kultur« ging Freud davon aus, dass die Menschen und die Kultur immer im Widerspruch zueinander stehen würden. Laut Freud besteht die Arbeit der Psychotherapie darin, das neurotische Leiden in ein normales Unglücklichsein zu verwandeln. Der Einzelne muss sich zum Wohle der Zivilisation an die Kultur anpassen. Wie ein Bäumchen, das gebogen und an einen Stock gebunden wird, um eine unnatürliche Form zu erzeugen, wird die Psyche von den Erwartungen der Kultur geformt. Das ist in der Tat unvermeidlich und gleichzeitig wurden unsere kulturellen Normen oftmals durch Krieg, Angst und Tragödien geformt – Erfahrungen, die typischerweise zu Trauma führen.
Obwohl Freud nie daran gedacht hätte, dass sich die Gesellschaft verändern sollte, könnte die Verbindung, die er zwischen dem Selbst und der Gesellschaft erkannte, der Schlüssel dazu sein. Der springende Punkt liegt darin, dass wir nicht sehen, wie wir von der Kultur geformt wurden. »Wenn wir eine lange Zeit mit schwerem Handgepäck herumlaufen, wissen wir gar nicht mehr, wie es ohne diese Last wäre, weil sie normal geworden ist«, erklärt Hübl. »Sie ist aber nicht nur für uns normal geworden, denn wenn alle diese Last tragen, dann nehmen wir an, sie sei normal. Aber dieses Handgepäck ist nicht normal, es ist ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, das uns die Zukunft nicht in ihrer Fülle sehen lässt.« Unser Gefühl dafür, was normal ist, macht uns blind. Wir hinterfragen unser schweres Handgepäck nicht mehr und finden es sogar merkwürdig, dass die Menschen anderer Kulturen es nicht mit sich tragen. »Was bedeutet es«, fragt Hübl, »dass ich als Individuum in eine kollektiv traumatisierte Kultur geboren wurde, von ihr geprägt wurde und darin die kollektiv verdrängten Inhalte weder in meinem Bewusstsein noch in dem Bewusstsein vieler anderer Menschen meiner Kultur direkt auftauchen? Wir bestätigen uns in der Unbewusstheit, weil wir sie für normal halten.«
¬ Wir leben in einer Kultur der Abwesenheit.
Die Komplexität unserer globalisierten Welt begrenzt oft noch zusätzlich unseren Blick. Der Ansturm von Informationen auf so vielen Kanälen ruft in unserem Nervensystem Stress hervor. Wir sind ständig mit Krieg, Aggression und Konflikten auf den Straßen der ganzen Welt konfrontiert. »In dieser umfassenden Verbundenheit liegt ein enormes kreatives evolutionäres Potenzial«, beobachtet Hübl, »das aber gleichzeitig auch individuelle und kollektive Trauma-Punkte berührt. Wenn ich durch diese globale Verbundenheit immer mehr Impulse bekomme, wird dadurch meine eigene Traumatisierung und die kollektive Traumatisierung der Vergangenheit zunehmend an die Oberfläche gespült.« Und er weist darauf hin, dass unsere oftmals abgestumpfte Reaktion ein Zeichen von Trauma ist.
Aber das Trauma bleibt nicht auf uns allein beschränkt. Die neue Wissenschaft der Epigenetik zeigt uns, dass Traumata genetisch von einer Generation an die nächste weitergegeben werden können. Obwohl diese Wissenschaft noch in den Kinderschuhen steckt, zeigen Forschungen, dass Kinder von Holocaust-Überlebenden erhöhte Stresshormone aufweisen. Experimente mit Labormäusen haben überzeugend gezeigt, dass Veränderungen im Nervensystem durch Trauma epigenetisch an die nächste Generation weitergegeben werden. Wenn wir bedenken, wie weit verbreitet Traumata sind, die durch Krieg, Hungersnöte oder Katastrophen entstehen, können wir uns vorstellen, wie deren Wirkung in die kulturelle Struktur eingewoben wird und zu einem neuen Normalzustand wird. Und auch dafür sind wir blind, und so setzt sich der Kreislauf fort.
Wie können wir diesen Kreislauf der Traumatisierung, der einfach zum »Normalen« wird, unterbrechen? Unsere Fähigkeit zu einer kreativen Antwort wird von dem, was wir nicht sehen, geschwächt, wodurch wir auf die Herausforderungen, denen wir begegnen, nicht angemessen reagieren können. »Deswegen glaube ich, dass es in unserer Zeit so wichtig ist, dass wir die Trauma-Felder sichtbar machen«, sagt Hübl, »denn sie blockieren uns als Kultur darin, zum Beispiel eine Antwort auf den Klimawandel oder den exponentiellen Fortschritt der Technologie zu finden. Meiner Ansicht nach ist das entscheidend für unsere Zukunft, denn wenn solche ökologischen und technologischen Veränderungen fortschreiten, wir aber durch die Vergangenheit zu blockiert sind, um wirksam darauf zu antworten, dann führt das zu einer Katastrophe.«
»Wir leben in einer Kultur der Abwesenheit«, sagt Nicholas Janni, ein kreativer Unternehmensberater, der im Kernteam des Pocket Project mitwirkt, »das heißt, wir leben in einer Kultur, in der wir vollkommen vergessen haben, was es heißt, wirklich in Beziehung zu sein, wirklich in Kontakt zu sein, wirklich zuzuhören. Diese Situation wird als Normalzustand akzeptiert.« Diese entfremdete und verflachte Normalität ist der Kitt, der die Traumatisierung zusammenhält. »Abwesenheit« ist ein besonders passender Ausdruck, um diesen Zustand zu verstehen, und diese Abwesenheit macht es so schwer, Trauma-Felder offenzulegen. Im Menschen herrscht dann Abstumpfung dort, wo eigentlich Gefühle sein sollten: Apathie, Depression, Mangel an Lebendigkeit, Isolation.
»Das Leben ist Energie, alles Manifestierte ist Energie«, erklärt Hilorie Baer, eine Psychotherapeutin, die auch Teil des Teams ist. »Allgemein kann man sagen, dass wir mehr mit unserer Lebensenergie identifiziert sind als mit dem Raum in uns. Und hinzu kommt das Licht, also neue Informationen oder Einsichten. Wenn die Energie sehr dicht ist, sehr stark zurückgehalten wird, wird es nicht viele Einsichten geben können. Die Fähigkeit, den Raum zu halten, alles anzuschauen, mit allem präsent zu sein, macht es möglich, sich für etwas Neues zu öffnen.« Im Trauma oder in aussichtslosen Konflikten zieht man sich zurück, wird unempfindlich und bleibt in den eigenen Gefühlen und Reaktionen stecken. Wenn aber jemand in der Lage ist, den Raum zu halten und auch die miteinander im Konflikt stehenden Perspektiven zu halten, dann kann eine kreative Möglichkeit entstehen. »Die Fähigkeit, Beziehung aufrechtzuerhalten und den Raum zu halten, ist eine heilende Bewegung«, sagt sie. »Eine Präsenz, die sich nicht in den Konflikt verengt, sich nicht in Ideen von Richtig und Falsch verengt, kann einen Raum öffnen, der eine Heilung ermöglicht, die ohne diese Präsenz nicht geschehen würde.«
»Heilung«, so bemerkt Janni, besteht darin, »eine Bewegung und eine Beziehung wiederherzustellen«, wodurch man fähig wird, sich auf neue Art zu verbinden. Die »innere Intelligenz des Lebens«, die wir sind, kann dann erwachen und sich für neues Wachstum und neue Integration öffnen. Das ist eine natürliche Reaktion. »Weil das Nervensystem intelligent ist, lässt es jedes Mal, wenn es genug Ressourcen hat, automatisch Informationen aus dem Unbewussten ins Bewusstsein kommen, weil es von sich aus heilen möchte«, so Hübl.
Wie können wir die Qualität des Raumes jenseits der Zeit ins Leben bringen?
»Das Pocket Project möchte den Selbstheilungsmechanismus der Welt wiederherstellen«, bemerkt Hübl. Es scheint ein gewagter Versuch zu sein, die Heilungskraft der Welt wieder zu aktivieren, aber die Prinzipien, mit denen Hübl und sein Team arbeiten, sind essenziell für den Lebensprozess, nicht nur für den Menschen. Die Frage dabei ist, wie diese Prinzipien so erweitert werden können, damit sie auf kultureller Ebene wirken. Durch seine Begegnungen in der ganzen Welt hat Hübl bemerkt, dass seine Arbeit mit Individuen und Gruppen als seine empirische Forschung Schatten und kollektive Traumata in unterschiedlichen Kulturen auftauchen ließ. Aber diese Erweiterung gelingt nicht allein dadurch, dass man mehr Menschen einbezieht. Es geht vielmehr darum, »Räume (Pockets) der Präsenz inmitten traumatisierter Energiefelder zu schaffen«, wie Janni es ausdrückt.
Die Idee der Pockets scheint aus der Kunst von Yehudit Sasportas zu kommen. In den letzten Jahren erhielt sie vermehrt den Auftrag, ortsspezifische Installationen für verschiedene Institutionen in Deutschland zu gestalten, die heute wichtige Kunstmuseen sind. Intuitiv hatte sie das Gefühl, dass diese Bauten etwas verbergen oder eine unterdrückte Vergangenheit haben. Damit lag sie richtig. Als sie von der oft schreckensreichen Geschichte der Gebäude erfuhr und sich in die unbewusste Information, die diese Ort trugen, einstimmte, schuf Sasportas Installationen, die die verschiedenen Ebenen von Information vermittelten, die sie während dieses Prozesses wahrnahm. »Als Teil meiner ortsspezifischen Installationen, die aus Zeichnungen, Videoarbeiten, Klangarbeiten und Skulpturen bestehen und als ein kollektives architektonisches Gehirn fungieren, war es mir wichtig, eine neue Art von Filmen zu schaffen. Diese Filme wurden eigens für das bestimmte Gebäude gemacht und korrespondierten mit unausgesprochenen historischen Informationen dieser Orte. Sie wirken wie ein Loch in der Wand«, beschreibt sie eine ihrer Arbeiten, »und man erlangt Zugang zu einem metaphysischen Raum, wodurch man vom physischen Raum der Ausstellung zum Film übergehen kann, in dem man die Ausstellung gleichsam wie ein Geist betrachtet, ohne die physische Trennung durch Wände und Decken. So schaffe ich die Möglichkeit, etwa zehn metaphorische Kilometer in das Unbewusste hinabzusteigen.« Als ihr klar wurde, dass viele historische Bauten in Europa eine ungelöste Vergangenheit haben, bot sie an, eine Karte dieser Gebäude zu gestalten, eine 3D-Simulation, die ein internationales Netzwerk von Pockets unbewusster Information sein würde und diese Museen miteinander verbindet. Dabei geht es nicht darum, jemanden zu beschuldigen oder richtig oder falsch zu bestimmen, sondern das Unterdrückte zuzulassen und es im Raum zu halten.
Saportas Kunst bringt ungelöste unterdrückte Anteile in einen Raum der Transzendenz, wodurch es möglich ist, von einem inneren Ort der Ganzheit für dieses Dunkel »Zeugnis abzulegen«. In Anlehnung daran erklärt Janni, dass »Räume der Präsenz«, die »Pockets of Presence«, von zwei Säulen abhängen: die transpersonelle (oder transzendente) Dimension und eine Einstimmung auf das Feld. Beides ist auch in der Kunst von Sasportas spürbar. Um diese kulturellen Räume zu schaffen ist es Jannis Ansicht nach nötig, »dass man Zugang zur Transzendenz hat«.
Obwohl das Pocket Project gerade erst gegründet wurde, haben sich in einigen Ländern bereits Gruppen mit Menschen gebildet, die sich entschlossen haben, zusammen Räume zu schaffen, die kollektives kulturelles Trauma halten können – in Argentinien, Neuseeland und natürlich in Israel und mit Deutschen, die sich mit dem Holocaust beschäftigen und an Hübls Arbeit mit diesem Thema in den letzten Jahren anschließen. »Ich denke, dass im Laufe dieses Jahres noch einige starke Projekte entstehen werden«, sagt Janni. Und Hübl sieht in der Zukunft noch eine weitere Entwicklung: »In einigen Jahren könnten 40 Pockets in 40 Ländern entstehen, die alle die Beschaffenheit des Traumas dieser Region erforschen. Was ist das Trauma in Bangladesch, in Vietnam, in Südamerika, in Afrika?«
Die Fähigkeit, Beziehung aufrechtzuerhalten und den Raum zu halten, ist eine heilende Bewegung.
Im Rahmen des Pocket Project werden Menschen ausgebildet, um die Fähigkeit zu entwickeln, diesen Raum zu halten, sich auf die Umgebung einzustimmen und damit ein Katalysator für Heilung zu sein. Durch das Trainingsprogramm können dann immer mehr Leute in ihre Heimatfelder gehen und zu »Local Voices« werden. Diese »lokalen Stimmen« untersuchen die lokalen Ausprägungen von Trauma, sie bieten lokal Praxismöglichkeiten an, fördern lokal die Bewusstseinsbildung und bringen kollektives Trauma stärker in die Bewusstheit der Gesellschaft. Zusätzlich werden sie verschiedene Kompetenzfelder entwickeln, wie Genetik und Epigenetik, Recht, Psychologie, Traumatherapie und Aufstellungsarbeit sowie Sozialwissenschaften und Neurowissenschaft, die die Anatomie des kollektiven Traumas untersuchen und erforschen werden. Darüber hinaus sind Prozesse mit Großgruppen in verschiedenen Ländern mit umfassender professioneller Unterstützung eines Teams vieler Psychotherapeuten und Trauma-Therapeuten geplant, um die kollektiv verleugnete Dimension ins Licht unseres bewussten Gewahrseins zu bringen.
»Solch Pocket Project zu gestalten braucht Zeit«, erklärt Janni. »Man kann es nicht erzwingen. Es bedeutet, einen starken Behälter zu schaffen, weshalb wir ständig mit unserem individuellen Trauma arbeiten müssen. Ansonsten ist der Behälter, den wir gemeinsam schaffen, nicht stark genug, um die Intensität der kollektiven oder generationsübergreifenden Trauma-Energie zu halten.« In Israel zum Beispiel, wo Janni die dortige Gruppe des Pocket Project leitet, treffen sie sich seit einem Jahr, um diese Fähigkeiten auszubilden, und jetzt beginnen sie langsam damit, auch auf kollektiver Ebene zu arbeiten. Die Gruppe will fragen: »Was heißt es, jüdisch zu sein?« Ihr Ziel besteht darin, herauszufinden, was es bedeutet – nicht als Geschichte, nicht als Konzept, sondern zu entdecken, »wie ich es so tief wie möglich spüren kann. Wie kann ich das spüren, in dem wir als Gruppe leben, in welchen ›Strom‹ wir hineingeboren sind, aber oft nicht sehen, in was wir da leben.« Dadurch, so Janni, »kann eine Bewegung entstehen – eine tiefere Bewegung des Lebens, in der auch die innere Intelligenz des Lebens wiederhergestellt wird.«
In unserer Zeit ist es entscheidend wichtig, dass wir die Trauma-Felder sichtbar machen.
Das Ziel ist Bewegung, Veränderung: die Gegenwart von der Vergangenheit befreien. »Unbewusste Energie ist Bestimmung, aber bewusste Energie hat eine Zukunft«, sagt Hübl. »Denn oft ist es so, dass wir unbewusst das Karma der Vergangenheit in der Gegenwart reaktivieren und es Zukunft nennen, es ist aber die Reproduktion der Vergangenheit. In der Präsenz, in der die integrierte Energie bewusst ist, entsteht wirkliche Zukunft, die eine neue Möglichkeit zulässt.« Das Pocket Project will dazu beitragen, dass die Menschheit in der Lage ist, diesen Kreislauf zu durchbrechen und nicht ständig die Geschichte zu wiederholen.
Das Team des Pocket Project hat ein Motto: Es gibt nur einen Klienten – »One Client« –, und das ist unsere Welt und die Menschheit. Die planetare Krise, von der wir ein Teil sind, fordert uns dringlich auf, uns zu verändern. Aber die kollektiven Traumata, die zu Misstrauen, Trennung und mangelndem Willen zur Veränderung geführt haben, wirken wie eine Notbremse, die unsere Weiterentwicklung verzögert oder gar stoppt.
Hübl ist der Ansicht, dass wir keine globalen Zeugen sein können, wenn wir selbst in dieser kollektiven Traumatisierung gefangen sind, weil wir einfach gewisse Dinge nicht spüren und dadurch gleichgültig werden. Und er ist überzeugt, dass wir mehr reife weltzentrische Bürger brauchen, »aber eine weltzentrische Perspektive ist oft nur eine intellektuelle Angelegenheit und kommt nicht aus einer wirklichen Erweiterung des Bewusstseins«. Er möchte »Global Social Witnesses« darin stärken, globale Zeugen dieses Weltgeschehens zu sein. »Aber kein dissoziierter Zeuge, sondern ein verbundener Zeuge. Also jemand, der etwas fühlt und nicht jemand, der glaubt, er sei besonders meditativ, und dabei in der Dissoziation feststeckt.«
Wir können als verantwortungsvolle Menschen lokal und global Zeugenschaft ablegen und dadurch zur Heilung beitragen. Für Hübl ist solch eine bewusste Zeugenschaft für unseren Weg in die Zukunft entscheidend wichtig. Vor allem auch im spirituellen Sinne liegt darin eine tiefe Bedeutung, weil wir dadurch für die Gesundung der Welt eintreten.
Thomas Steininger und Elizabeth Debold
Die international anerkannte israelische Künstlerin Yehudit Sasportas, Mitbegründerin des Pocket Project, definiert gute Kunst so, dass sie die Fähigkeit hat, eine beunruhigende Frage zu stellen: Kunst sollte uns wachsam machen und eine unbeantwortete Frage auslösen. Eine gute Skulptur ist in der Lage, uns langsam von einem Bereich, der von uns – dem Betrachter – als etwas Gewusstes erkannt wird, in einen abstrakten Raum zu bewegen. Die Bewegung zwischen dem bekannten Objekt und dem abstrakten Bereich ist die Anatomie der Frage.
Mich interessiert besonders, die unsichtbaren Verbindungen zwischen verschiedenen dichten, aufgeladenen Orten unserer unbewussten globalen Landschaft zu aktivieren. Obwohl jeder Punkt eine eigene Geschichte in sich trägt, ist die innere Anatomie des nicht integrierten Teils gleich. Letztendlich ist alles auf erstaunliche Weise miteinander verbunden. Mich interessieren sehr komplexe und einfache Aktionen, die diese Akupunkturpunkte, die eine bestimmte Spannung halten, berühren können. Ich möchte diesen Schmerzpunkten eine Stimme geben, sodass ein Tor entstehen und sich Löcher in der architektonischen Struktur der Gesellschaft öffnen, die wie Kanäle wirken, durch die unterdrückte Information sich entladen und in Bewegung kommen kann.
Ich denke, als Kultur fehlen uns Räume und Übergänge, die der spezifischen Geschichte im Theater des Lebens Raum geben und bezeugen können. Wie können wir die Qualität des Raumes jenseits der Zeit ins Leben bringen? Die Durchdringung des Raumes jenseits der Zeit in die Zeit? Denn für mich macht es einen großen Unterschied, ob wir in der Zeit und der linearen Geschichte bleiben oder gleichzeitig in der Lage sind, uns in diesem Raum jenseits der Zeit inmitten unserer Zeit zu verorten und ihn zu spüren. Dadurch öffnet sich für uns eine viel weitere Perspektive.