The End of Time

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

April 17, 2014

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Ausgabe 02 / 2014:
|
April 2014
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Eine filmische Meditation über das Wesen der Zeit

Der russische Filmemacher Andrei Tarkowski beschrieb das Kino als eine Kunstform, die die Zeit als Rohmaterial verwendet, ähnlich wie ein Bildhauer mit Ton oder ein Maler mit Farbe arbeitet. Er dachte, dass nur das Kino als künstlerisches Medium in der Lage ist, Zeit als eine ästhetische Kraft zu nutzen, die „mit der materiellen Wirklichkeit, mit der wir Tag für Tag, Stunde um Stunde zu tun haben, untrennbar verbunden ist“. Zeit in diesem Sinne durchdringt das ganze Leben, wie ein unsichtbares Element in der Luft, die wir atmen. Aber was genau ist die Zeit? Wenn wir die Jahre und Jahrzehnte unseres Lebens zählen oder die Jahrzehnte unserer Zivilisationen markieren oder die Äonen des bekannten Universums nachvollziehen, welche Substanz messen wir dabei eigentlich? In eine verstörende und kryptische Erforschung des Phänomens der Zeit begibt sich der kanadischen Filmemacher Peter Mettler in seinem Dokumentarfilm The End of Time. Das Ergebnis ist eine ungewöhnliche filmische Spurensuche, die vermochte, was nur ganz wenige Filme erreichen: Meine Erfahrung der Wirklichkeit zu verändern.
Dieser emphatischen Aussage muss ich hinzufügen, dass The End of Time keine leichte Kost ist. Der große Verdienst des Films ist sein Mut, dieses gewaltige Thema direkt anzugehen und den Zuschauer dabei mitzunehmen. Er eröffnet ein seltsames Spektrum scheinbar in keiner Beziehung zueinander stehender Themen und Personen: Wir begegnen Physikern, die mit dem Large Hadron Collider (einem 38.000 Tonnen schwerer Teilchenbeschleuniger) arbeiten, der die Bedingungen reproduziert, die eine Milliardstel Sekunde nach dem Urknall bestanden haben. Einem Einsiedler in Hawaii, dessen Hütte gefährlich nah an dem Lavafluss eines nahen Vulkans steht. Einem Techno DJ in Detroits heruntergekommenen und verlassenen Industriegebieten. Sich niederwerfenden Pilgern in der Nähe der Erleuchtungsstätte Buddhas. Und vielen anderen Menschen, die implizit nur durch die den Film überspannende Erforschung der Zeit verbunden sind.
Im Film wenig gesprochen. The End of Time ist nicht besonders daran interessiert, uns mit irgendwelchen Antworten auf die Frage, was die Zeit ist, zu versorgen. Er konfrontiert uns mit seinen Paradoxien: die Zeit durchdringt alles, ist aber gleichzeitig ein vom Menschen erfundenes Konstrukt, das etwas misst, was real nicht zu existieren scheint.

Zeit durchdringt das ganze Leben, wie ein unsichtbares Element in der Luft, die wir atmen.


Mettler nimmt den Betrachter in eine Erkundung der Zeit mit, die eher erfahrungsbezogen als theoretisch ist. Der Film bewegt sich innerhalb von Einsteins Aussage, dass Zeit, Raum und Materie in einer fundamentalen und untrennbaren Einheit bestehen. Irgendwie wird eine gemächliche Nahaufnahme einer leuchtend rot glühenden Schlacke, die sich langsam ausdehnt und felsigen Boden in klebrige graue Asche verwandelt zu einem Zugang, um Einsteins Idee zu fühlen. Und es erinnert auch an den Ausspruch „so spannend, wie der Farbe an der Wand beim Trocknen zuzuschauen.“ Dann wird eine Kamerafahrt durch ein Wohngebiet, dessen Straßen von verbrannten, ausgeweideten, leeren Häusern gesäumt werden, absolut hypnotisch und fesselnd. Der Film ist nicht-linear und seine manchmal scheinbar zufällige Dramaturgie ist etwas anstrengend. Aber er baut sich bis zu einem überraschenden und energetischen Höhepunkt auf, der Mettlers Sicht der Dinge unmissverständlich klar macht: die Zeit ist ein überwältigendes kosmisches Mysterium, mit dem wir aufs Innigste verbunden sind und das uns miteinander verbindet. Das half mir, einen roten Faden zu finden und Mettlers aufrichtiger Absicht zu vertrauen, einen Film zu schaffen, der den Zuschauer inspiriert, ernsthaft über die Grundlagen unseres Daseins nachzudenken.

Nach meiner eigenen Definition ist The End of Time kein großartiger Film, weil seine Montagen und Momentaufnahmen in meiner Vorstellung keine neuen Wege des Staunens und der Begeisterung gebahnt haben. Aber es ist ein wichtiger Film, der mein inneres Auge für das unausweichliche Rätsel der Zeit geöffnet hat – wie ein kleiner Stein in meinem Schuh, den ich nicht mehr loswerde.

Author:
Kenzo An
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