Zu einer Liebenden werden

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Artikel
Publiziert am:

October 19, 2017

Mit:
Prof. Dr. Barbara von Meibom
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AUSGABE:
Issue 16 / 2017:
|
October 2017
Lichtblicke für eine verwundete Welt
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Barbara von Meiboms Weg zur Versöhnung von Macht und Liebe

Manchmal wirkt unsere familiäre Herkunft wie ein Leitmotiv für unser Leben, gewissermaßen wie eine Aufgabe, die uns mitgegeben wird. Für Barbara von Meibom kamen von ihren beiden Großvätern solch prägende Einflüsse, die zwei Pole repräsentierten, mit deren Spannung und Versöhnung sie sich ein Leben lang beschäftigt hat: Macht und Liebe.

Diese Auseinandersetzung führte auch zu den Texten und Veranstaltungen, in deren Zusammenhang ich Barbara von Meibom zuerst kennenlernte, insbesondere durch das Buch »Deutschlands Chance – Mit dem Schatten versöhnen«, der Konferenz »Aussöhnen mit Deutschland« und den Integralen Konferenzen, auf denen sie auch Großgruppenprozesse zur kollektiven Heilung Europas begleitete. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung war ich gespannt, im Gespräch mit Barbara von Meibom mehr darüber zu erfahren, wie sie zu dieser Arbeit gekommen ist. Und wie ich erfuhr, war sie ihr buchstäblich in die Wiege gelegt worden. 

Barbara von Meibom wuchs mit zwei einflussreichen Großvätern auf: Der eine war Monarchist und als Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei Vizepräsident des Preußischen Staatsrats. Er nahm das kleine Mädchen oft mit zum Grab der Königin Luise im Park Charlottenburg. Der andere Großvater war als General­superintendent des Rheinlandes das, was man heute in der Evangelischen Kirche einen Bischof nennt. Er spielte jeden Abend am Harmonium Kirchenlieder und die Familie sang mit. Über diesen starken Einfluss, der sie ihr ganzes Leben begleitete, sagt Barbara von Meibom: »Der eine, ein erzkonservativer Monarchist, vertrat die weltliche Macht, den Thron, der andere, ein zutiefst frommer, aber eigentlich unpolitischer Gottesmann, in dessen Haus ich als kleines Mädchen nach der Evakuierung meiner Eltern aufwuchs, repräsentierte in meiner Vorstellung den Altar.« Die Metaphern Thron und Altar wurden für sie zu Symbolen für die Dynamik zwischen Macht und Liebe.

Zunächst prägte die Erforschung der Macht Barbara von ­Meiboms Leben. Für die späte 68erin war die Zeit studentischen Aufbegehrens ein erster Wendepunkt in ihrem Leben. Sie traf ihren damaligen Mann, einen kritischen Sozialisten und Intellektuellen. Sie lernte, kritisch zu denken, studierte Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft und forschte intensiv über Machtbeziehungen. Dabei setzte sie sich mit der Frage auseinander, wie es in Deutschland zu dem Desaster des Dritten Reiches kommen konnte und ob bzw. wie der Weg heraus gelang. So befasste sich ihre Doktorarbeit mit der Demokratisierungspolitik nach 1945, in der sie den Wechsel vom Antifaschismus zum Antikommunismus thematisierte – ein Wechsel, der sich vor allem aus Wirtschaftsinteressen und -dynamiken erklären ließ. Für ihre weitere wissenschaftliche Arbeit erhielt sie hohe Anerkennung, merkte aber gleichzeitig, dass etwas nicht stimmig war. 

Das war der Beginn einer zweiten grundlegenden Wende. Mitte der 80er Jahre bemerkte sie, dass ihr »Herz verschlossen war«: »Ich erinnere mich deutlich an eine Situation, in der ich mir sagte, ›Ich möchte wieder lieben können‹.« Noch heute spricht Barbara von Meibom sichtlich bewegt über diesen inneren Wandel, bei dem der andere Pol ihres Lebens, die Liebe, nach Entfaltung suchte. Dieser Umbruch zeigte sich in familiären Konflikten und in einer teilweisen Lähmung der linken Gesichtshälfte, die schon einige Jahre früher begonnen hatte. Als Folge dieser Erlebnisse begab sich Barbara von Meibom seit Mitte der 80er Jahre intensiv auf einen inneren Weg. Sie begann mit Gestalttherapie, Körpertherapie, Initiatischem Schau-spiel, Psychodrama und schließlich Psychosynthese inklusive der Ausbildung zur Psychosynthese-Therapeutin. Ab 1992 unterstützten sie dabei regelmäßige Reisen nach Indien, wo sie sich mit der Advaita-Philosophie auseinandersetzte. So war sie, als sie 1989 ihre Professur für Politikwissenschaft antrat, innerlich eigentlich schon auf einem anderen Weg. Das führte dazu, dass sie einige Jahre lang in zwei Welten lebte, der wissenschaftlichen Welt als Professorin und der spirituellen Welt als innere Sucherin. 

In dieser Spannung zu leben, war nicht leicht. 1997 kam ­Barbara von Meibom an einen Punkt, an dem sie merkte, dass es so nicht mehr weitergehen konnte und nahm ein Sabbat-Jahr, um zu innerer Klarheit zu finden. Als Erstes stoppte sie ein laufendes Berufungsverfahren an einer anderen Universität, gründete ihr heutiges Communio-Institut für Führungskunst und entschloss sich, mittelfristig aus dem Universitätsbetrieb auszusteigen. Der Grund für diesen Schritt war auch die Suche nach einer »Wissenschaft, die Wissen schafft«: »Das ist etwas anderes als das sehr reduzierte kog­nitive Projekt der heutigen Wissenschaftswelt.« Zudem verspürte sie den Wunsch, ganzheitlich mit Menschen zu arbeiten und wollte darin den Liebes-Pol zum Ausdruck bringen. Daraus ist ihr Ansatz des »Spirituellen Selbstmanagements« entstanden, für sie eine Möglichkeit, die beiden Pole Macht und Liebe zu versöhnen. Denn auf ihrem inneren Weg hatte sie ein neues Verständnis von Macht entwickelt: »Macht ist eine ungeformte Energie und zunächst neutral. Graf Dürckheim bezeichnet sie als Mächtigkeit. Wir sind gefordert, diese Energie zu formen. Je mehr Macht wir haben, desto wichtiger ist es, sie zu formen. Und die Kraft, die sie formt, ist die Liebe. Wir können unsere eigene Macht erkennen und mit ihr in einer Weise umgehen, die dem Leben dient.« Dazu gehören für sie die achtsame Selbstführung ebenso wie die achtsame Gestaltung der äußeren Verhältnisse. 

Wir können unsere eigene Macht erkennen und mit ihr in einer Weise umgehen, die dem Leben dient.

Barbara von Meibom

Gelingende Kommunikation – innen wie außen – ist für ­Barbara von Meibom in diesem Prozess von herausragender Bedeutung. So veröffentlichte sie zur Jahrtausendwende ein Buch mit dem Titel »Die kommunikative Kraft der Liebe« – zu einer Zeit, als sie noch an der Universität arbeitete. Das Buch war für sie ein »Coming Out«, ein gewagter Schritt, der sie mit ihren eigenen Ängsten konfrontierte. Sie bemerkte bald, dass »Liebe« zu dieser Zeit in der akademischen Welt noch nicht anschlussfähig war und fand den Begriff »Wertschätzung«, um ihr Anliegen, auch mit Hilfe von zwei Büchern zum Thema Wertschätzung, einem größeren Publikum zugänglich zu machen. 

Im Jahre 2004 verließ sie endgültig die Universität – ein »Mutschritt«, wie sie heute sagt, auch in die ökonomische Unsicherheit. Bei diesem Übergang von der Wissenschaftlerin zur ganzheitlichen Lehrerin gab es einen entscheidenden Punkt, den sie so beschreibt: »Ich wollte keine Wahrheiten mehr verkünden, wie es in der Wissenschaft oft üblich ist, sondern zwischen unterschiedlichen Wahrheiten moderieren. Heute würde ich sagen, ich habe nach einer integralen Perspektive gesucht.« Sie begann als Moderatorin, zunächst mit großem Erfolg in partizipativen Projekten in der Stadtentwicklung. Dann folgten Projekte der Organisationsentwicklung, in denen sie Wertschätzung und Wertschöpfung miteinander verband: »Denn nur, wenn die menschliche Seite Beachtung findet, können wir Werte schöpfen. Und nur, wenn wir aus Verantwortung für die Schöpfung arbeiten, können wir nachhaltige Werte schöpfen.« In den folgenden Jahren nahm die Persönlichkeitsentwicklung von und mit Führungskräften einen immer größeren Raum in ihrer Arbeit ein.

2008 reiste sie das erste Mal nach Jerusalem. Diese Reise war für sie ein weiterer prägender Wendepunkt in ihrem Leben, begriff sie doch, dass sie das Thema der Versöhnung von Macht und Liebe neu aufgreifen und den politischen Aspekt ihrer Arbeit wieder stärker aufnehmen musste. So zog sie nach Berlin, um eine Synthese ihrer spirituellen und politischen Anliegen zu wagen. Auf ihren Indienreisen hatte sie wahrgenommen, wie stark die Kultur in Deutschland vom Spirituellen abgeschnitten ist. Einen Grund dafür fand sie im Missbrauch des Spirituellen durch die Nationalsozialisten. Diese Einsicht führte sie zum Schreiben des Buches »Deutschlands Chance – Mit dem Schatten versöhnen« und den darauffolgenden Veranstaltungen, die ich zu Beginn erwähnt habe. 

All ihre Aktivitäten, sei es die Arbeit mit Führungskräften, die Ausbildung in Spirituellem Coaching, die sie heute anbietet, oder das Engagement zum »Aussöhnen mit Deutschland«, bewegen sich in dem Feld von Macht und Liebe. Im Gespräch wird deutlich, dass Barbara von Meibom für sich einen Weg gefunden hat, mit diesem Leitmotiv ihres Lebens, das sie aus ihrer Herkunft aufgenommen hat, zu einer Bewusstheit und Versöhnung zu kommen, um so »dem Leben zu dienen«. In der Reflexion über diesen Weg der Versöhnung sagt sie heute: »Der Weg meines Lebens ist, zu einer Liebenden zu werden.« Und für sie ist es genau das: ein Weg, ein lebenslanger Prozess der Versöhnung und Entfaltung, für den sie weiterhin mit empfindsamem Herz und wachem Denken arbeiten wird. 

Author:
Mike Kauschke
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