Zwischen Wahn und Befreiung

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Interview
Publiziert am:

April 23, 2015

Mit:
Käptn Peng
Nisargadatta
Castaneda
Robert Gwidek
Kategorien von Anfragen:
Tags
AUSGABE:
Ausgabe 06 / 2015:
|
April 2015
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Ein Gespräch mit Käptn Peng über Dreiecke und Kreise und wie sich beide begegnen

Ich muss gestehen, ich habe mich sehr auf das Interview mit Käptn Peng gefreut. Warum? Weil ich seit seinem ersten Lied „OHA“, das vor einigen Jahren zum ersten Mal auf YouTube erschien, ein großer Fan bin. Die spirituelle und mehrdeutige Tiefe der Lyrik und der eigenwillige Sound seiner Band „Die Tentakel von Delphi‘‘, sowie die intensive Bühnenperformance – das alles hat mich immer wieder sehr beeindruckt. Und als wir uns dann an einem grauen Februarnachmittag in einem Café in Berlin-Kreuzberg trafen, kam es mir vor, als würden wir uns schon lange kennen. Innerhalb weniger Augenblicke redeten wir über das Dreieck, den Kreis und das Universum – die Dinge, die Robert Gwisdek alias Käptn Peng zutiefst bewegen.

evolve: Wie bist du zu Käptn Peng geworden?

Käptn Peng: Ich kam aus Indien zurück und habe angefangen, Gedichte zu schreiben. Mein Bruder hat elektronische Beats gemacht und irgendwann haben wir beides miteinander kombiniert. Am Anfang war das nur Spaß. Wir haben Videos dazu gebastelt, und zwar „Oha“ und „Kündigung“, und danach begann alles eine Eigendynamik aufzunehmen. Nach und nach haben sich dann die fünf Tentakel aus unserem Freundeskreis dazugesellt und unseren Fundus an Percussioninstrumenten gebastelt, die vor allem aus Küchenutensilien bestehen. Ein Koffer, zwei Töpfe, ein Wok, Gabeln, und die Bassdrum ist eine Betonmischtrommel. So wuchs das alles ganz organisch vor sich hin. Wir sind auch unser eigenes Label und Booking und versuchen alles familiär zu halten.

e: Einige deiner Texte wie zum Beispiel in „OHA“ scheinen über die Grenze zwischen Bewusstseinserweiterung und Wahnsinn zu erzählen. Ist das so gemeint?

KP: Ich würde den Normalzustand jedes Menschen als potenziell wahnsinnig bezeichnen. Ich hatte ein fiktionales Gerüst um mich selbst herum gebaut, welches irgendwann, wie jedes Gerüst, ins Wanken geriet. Bei mir war es so, dass ich aus einer Suche und Erkenntnis heraus begonnen habe, mich selbst umzuschubsen. Es gibt eine Zeile auf dem Album „Zähmung der Hydra“, die geht so: „Ich bin nicht verrückt geworden, ich hab mich selbst verrückt.“ Das heißt, es war schon ein gezielter Versuch, mir selbst mit meinem Verstand klarzumachen, dass mein Verstand jetzt aus dem Weg gehen muss. Eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Ein lebendiger Widerspruch, an dem man wahnsinnig werden kann. Aber ein schöner Widerspruch. Es ist, wie sich selbst an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

Jedes Gehirn ist per se ein Manipulator.

e: Viele spirituelle Traditionen bezeichnen ja unseren Normalzustand als „verrückt“, um auf die Freiheit des Erwachens hinzuweisen.

KP: Jedes Gehirn ist per se ein Manipulator und damit irgendwie auch ein wenig verrückt. Aber vielleicht ist ja jedes Gehirn auch aus einem sehr heiligen Grund verrückt. Es gibt vielleicht einen Nutzen, dass wir die Abgetrenntheit von unserem Selbst spüren. Das sollte man nicht gering schätzen, es ist vielleicht geradezu heldenhaft, dass wir uns abtrennen können, in einem Universum, das aus einem Ganzen entstanden ist. Man kann da nicht von einem eigenen Willen sprechen, indem man sagt, ich trenne mich jetzt ab. Zumindest bleibt es Spekulation, ob wir uns willentlich dafür entschieden haben. So wie auch das Thema Reinkarnation eine Spekulation ist, die von jedem individuell betrachtet werden muss, denn vielleicht gibt es Wesen, die reinkarnieren, und andere nicht. Auch die ganze Mythologie des Erwachens ist eine individuelle Angelegenheit, denn vielleicht ist nicht jedes Wesen dazu da, zu erwachen, sondern hat einen ganz anderen Pfad.

e: Einige deiner Texte, wie zum Beispiel in „OHA“ oder „Sockosophie“ könnte man als eine Kontemplation über Nondualität verstehen. Gibt es für dich spirituelle Einflüsse für solche Texte?

KP: Ich mag Nisargadatta und Castaneda sehr. Die beiden bilden für mich zwei Pole. Ansonsten sind meine Einflüsse sehr verstreut. Seinen individuellen Weg zu suchen, finde ich sehr wichtig, auch vor allem in der Beziehung zu spirituellen Lehrern. Es gibt so viele Lehrer, die auf ihre Schüler projizieren. Projektionen sind ja allgegenwärtig, aber in der Bereitschaft, Offenheit und Ungeschütztheit, in der ein Schüler einem Lehrer begegnet, kann das zu großen Problemen führen.

e: Hast du das Gefühl, dass beim Schreiben deiner Texte manchmal ein höheres Bewusstsein oder eine tiefere Quelle durch dich spricht?

KP: Nein. Ich bin entschieden gegen diese Sicht. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, wirklich aus einer höheren Anbindung zu sprechen. Es fühlt sich für den Sprechenden manchmal so an, wenn er innerlich sehr still bleibt beim Sprechen und das Gesagte quasi „nicht mehr beeinflusst“, aber sein Gehirn ist ja das Prisma, welches das Licht in „Sprachfarben“ bricht, und es bleibt immer konditioniert. Ich glaube, viele Lehrer sind so überwältigt von der Erfahrung des Erwachens, dass sie vollkommen das Gefühl für ihre persönliche Struktur verlieren. Wenn jemand sagt, „Ich bin so leer, die Worte fließen einfach aus mir hervor, wahrscheinlich spricht ein höheres Bewusstsein“, dann empfinde ich das als unreif und gefährlich. Die Anbindung mag rein sein, aber die Sprache ist es nie. Sie sagen, da ist niemand, der spricht. Aber der Körper, der das ausspricht, hat noch immer seine Geschichte. Wenn der Schüler das weiß, kann er leichter das aus dem Gesprochenen herausnehmen, was wirklich Wahrheit ist. Diese Verantwortung darf man nie abgeben. Wer glaubt, seine Sprache und Sicht wären überpersönlich, verdrängt meiner Meinung nach, dass er verkörpert ist, sobald er spricht und denkt. Sein Gewahrsein kann weit und frei wie die Unendlichkeit sein, aber sobald jemand seinen Mund aufmacht, werden die Worte vom Gehirn zusammengefügt. Viele Lehrer würden meinen, das sei egal, da ja die Energie im Vordergrund steht. Aber dann sollten sie meiner Meinung nach einfach nicht so viel reden. Gerade im Advaita ist die Zahl der Lehrer, die nicht aufhören können zu reden, enorm.

Das Ich kann erkennen, dass es sowieso von etwas betrachtet wird, das unendlich ist.

e: Aber wenn du in einem nur egoistischen Zustand wärst, könntest du solche nondualen Texte nicht schreiben, oder?

KP: Natürlich könnte ich das. Man kann das alles auch vortäuschen. Es gibt Menschen, die haben sich erfolgreich als Chirurg ausgegeben, ohne überhaupt einen Schulabschluss zu haben. Dagegen ist Spiritualität vorzutäuschen ein Kinderspiel. Ich empfehle sehr, auf das Bild, welches ich in manchen Texten zeichne, keinen Pfennig zu geben. Der Wunsch, das Universum zu verstehen oder Nondualität in Sprache zu bringen, ist nicht egolos. Und muss es auch nicht sein. Das Ego ist ja nicht böse. Es ist nur ein kleiner Idiot.

e: Und Identität scheint ein Thema zu sein, das dich sehr beschäftigt. Im Video „Sein Name sei Peng“ heißt es: „Ich bin gerade ganz entspannt Richtung Licht geschwommen, da sagt eine Stimme: ,Glückwunsch, Sie haben ein Gesicht gewonnen‘.“

KP: Ja, Identität ist scheinbar faszinierend für mich. Ich weiß nicht, ob sie zufällig entsteht oder geplant ist.

e: Zwei Identitäten, zwischen denen du auch lebst, sind der Schauspieler Robert Gwisdek und der Musiker und Dichter Käptn Peng. Wie kommen die beiden miteinander aus?

KP: Die Schauspielerei sehe ich eher als einen Unfall. Ich empfinde mich darin weder sehr talentiert noch sehr erfüllt. Käptn Peng ist zwar auch ein Unfall, aber ein geplanter Unfall – die Sorte Unfall, die mich dazu führt, ihn zu perfektionieren, bis es ein gelungener Unfall wird. Der Roman, den ich eben geschrieben habe, ist wiederum etwas ganz anderes.

e: Was versuchst du mit deinem Buch „Der unsichtbare Apfel“?

KP: Unterschiedliche Versuche liegen da drin. Es war ein wenig wie unzensiertes Schreiben oder wie man das nennt. Ich sollte ein Mini-Manuskript von 60 Seiten rausbringen. Das habe ich dann zweieinhalb Monate vor Abgabedatum verworfen und mit einer Geschichte angefangen, die einer Figur namens Igor folgt. Ich wurde in eine Art Tunnel gezogen und schrieb viele Stunden am Tag. Ich folgte einfach dieser Figur von ihrer Kindheit bis in die schlimmsten Täler und schönsten Wiesen und entdeckte mit ihr zusammen eine Art Parallelwelt. In derselben Geschwindigkeit wie sie. Es war sehr schön aber auch seltsam, was dort alles zum Vorschein kam. Riesige Abgründe, fremde Welten, veränderte Naturgesetze. Eine Schnittstelle zwischen Wahn und geistiger Befreiung.

Reime sind wie kleine Wortaffären, die „Klick“ im Gehirn machen.

e: Der Kreis scheint als Symbol für dich sehr wichtig zu sein, auch euer Label habt ihr danach benannt. Was bedeutet der Kreis für dich?

KP: Ich finde Kreise sehr anziehend. Ein Kreis spielt auch eine große Rolle in dem Roman. Igor zähmt einen wildgeworden Kreis und kann ihn vor sich her schweben lassen, ihn vergrößern und verkleinern und am Ende sogar in seinen eigenen Körper eindringen lassen. Er reist mit ihm in das Land der Dreiecke, die alle große Vorurteile gegenüber Kreisen haben und versucht, die beiden einander näher zu bringen. Das ist allerdings nicht ungefährlich, wie sich herausstellt.

e: Wie kommen Kreis und Dreieck einander näher?

KP: Der Kreis ist unendlich. Das Dreieck will Dominanz. So wie es in unserem Gehirn einen Icherhaltungstrieb gibt, der ganz natürlich und lebenswichtig ist und gegen den es nichts Moralisches einzuwenden gibt. Aber das Ich findet seine Befreiung erst, wenn es sich verbindet und merkt, dass es gar keine Gefahr darstellt, sich hinzugeben. Es muss lernen, dass es sich nicht auflösen muss, um in die Freiheit der Unendlichkeit einzutauchen. Das Ich kann erkennen, dass es sowieso von etwas betrachtet wird, das unendlich ist. Der Kreis ist momentan das, wovon ich lernen möchte, weil ich ständig von Dreiecken umgeben bin. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich immer beide wählen.

e: Deine Rap-Gedichte haben eine starke Ausdruckskraft, gerade auch, wenn man sie live hört. Hast du ein Anliegen?

KP: Ich habe kein Anliegen. Ich genieße einfach Sprache. Ich bin sehr fasziniert von ihr. Sie kondensiert Erfahrungen zu kleinen Klängen, die wir Menschen von uns geben. Zum Beispiel das Wort „Salamander“. Wie lange würde ich brauchen, einen Salamander mit Händen und Füßen zu beschreiben, man würde denken, ich wäre verrückt. Dank Sprache gebe ich einfach das Geräusch „Salamander“ von mir und jeder sieht einen Salamander vor Augen. Wie ungemein praktisch das ist. Noch besser wird es, wenn ich Worte wie „Euphorie“ oder „Explosion“ oder „Windkanal“ nehme. Ganze Filme kann man mit dem Klang von vergleichsweise winzigen Lauten in den Köpfen entstehen lassen. „Der euphorische Salamander explodiert im Windkanal.“ Es hat mich fast keine Energie gekostet, diese Worte auszusprechen, und doch geht das Gehirn desjenigen, der sie liest oder hört, genau an der Stellen in sich, an der er das Bild eines Salamanders, eines Windkanals und einer Explosion abgespeichert hat und kombiniert sie miteinander zu einem grotesken Bild. Ob er will oder nicht. Oder die Worte „Zweiter Weltkrieg“. Wie viel Information in diesem kurzen Geräusch eingebettet ist, sprengt jede Vorstellung. Wenn ein Außerirdischer käme, der nicht mit Akustik kommuniziert, und man würde versuchen, ihm klarzumachen, was hinter der kurzen Luftvibration „Bruttosozialprodukt“ verborgen liegt, wäre er wahrscheinlich sehr erstaunt. Und die unzähligen Kombinationsmöglichkeiten. Dann haben wir auch noch lediglich 27 Zeichen, um diese Geräusche optisch auszudrücken! Ein Geniestreich der Evolution. Und dann noch der Reim! Reime sind wie kleine Wortaffären, die „Klick“ im Gehirn machen. Oder Doppeldeutigkeiten. Mein momentanes Lieblings-Doppeldeutigkeitswort ist „Aufgabe“. Das ist wirklich faszinierend. Es hat gleich drei Bedeutungen. Und zwei davon sind in Verbindung miteinander spirituell so wertvoll. Und das eingebettet in nur einem Klang!

Author:
Renata Keller
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